Bayerwerk Leverkusen / CHEMPARK

In den Anfängen der späteren Weltfirma entwirft eine Denkschrift von Carl Duisberg aus dem Jahr 1895 eine der großartigsten Industrieplanungen in Deutschland. Wesentliche Merkmale dieses Konzepts: Für den gesamten Werksorganismus galt das Prinzip der „dezentralen Organisation“. Jede Abteilung im Werk war eine Fabrik für sich mit selbständiger Leitung unter zentraler Oberleitung. Kurze Wege sowie ein rasterförmiges Straßen- und Schienennetz sorgen noch heute im Werk für Weite und Großzügigkeit. Markante Architektur und eine anspruchsvolle Parkanlage setzen optische Akzente. Carl Duisbergs Direktorenvilla auf dem Werksgelände demonstrierte noch bis in die 60er Jahre seine Position als Schöpfer und Lenker in einer Zeit zunehmender Anonymisierung von Eigentums- und Entscheidungsverhältnissen in der Industrie.

Als der Kaufmann Friedrich Bayer (1825-1889) und der Färber Friedrich Weskott (1821-1876) sich 1863 zur Gründung einer Farbenfabrik in Wuppertal-Barmen zusammenfanden war die Dimension der späteren Weltfirma noch nicht absehbar. Auch eine neue, 1866 gegründete Fabrik im westlich von Barmen gelegenen Elberfeld konnte die Anforderungen des wachsenden Unternehmens an bebaubare Flächen und infrastrukturelle Ressourcen, besonders bezüglich Verkehr, Versorgung mit Brauchwasser und Altlasten-Entsorgung auf Dauer nicht erfüllen. Erst der durch den Ankauf der Ultramarinfabrik von Carl Leverkus 1891 angebahnte Schritt an den Rhein bot mit dem Erwerb zugehöriger Flächen eine Lösung der in Wuppertal sich mehr und mehr auftürmenden Probleme.

Planung und Entwicklung der Leverkusener Fabrik übernahm der seit 1884 bei Bayer tätige, studierte Chemiker Carl Duisberg (1861-1935). Duisberg legte für die Werksentwicklung 1895 eine Denkschrift vor. Die dort vorgestellten Ideen enthüllten eine der großartigsten Industrieplanungen in Deutschland dieser Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg, die selbst gegenüber den zeitgleichen amerikanischen Beispielen jener Zeit als modellhaft eingestuft wurde. Wesentliche Merkmale der Planung sind bis heute in der Topographie und in der städtebaulichen Wirksamkeit der Werksanlage sichtbar.

Lageplan aus der Denkschrift von Carl Duisberg, 1895. Quelle: Beiträge zur hundertjährigen Firmengeschichte 1863-1963, Köln o. J. (1964), Jubiläumsschrift 50 Jahre Bayer von führenden Mitarbeitern hg. vom Vorstand der Farbenfabriken Bayer AG
Luftbild vor 2010. Dominant das von Hentrich, Petschigg & Partner HPP erbaute, 2012 abgebrochene Hochhaus. Quelle: Bayer AG, Bayer Archives Leverkusen

Das betrifft zunächst die monumentale Ausdehnung erreichende Kaianlage am Rhein. Der größte Teil der im Werk verarbeiteten Güter kam über den Wasserweg. Auch für die chemische Industrie war der Transport mit Schiffen wesentlich günstiger als über Schiene und Straße. Vom Kai aus gelangten die Rohstoffe direkt in die dem Rhein am nächsten liegende, anorganische Abteilung, in der unter anderem Schwefel- und Salzsäure hergestellt wurden.

Der Weg der Vorprodukte zur weiteren Verarbeitung zu Zwischen- und Fertigprodukten wurde so kurz wie möglich gehalten. Die fertigen Farbstoffe wurden am Ende des Verfahrensweges gelagert und für den Versand präpariert. Jede Abteilung im Werk war eine Fabrik für sich mit selbständiger Leitung unter zentraler Oberleitung. Das Prinzip der „dezentralen Organisation“ galt für den ganzen Werksorganismus bis hin zum Verhältnis zwischen Arbeitern und Meistern. Werkstätten und Sozialbauten begleiteten die Produktionsstätten.

Rheinkai um 1938. Quelle: Beiträge zur hundertjährigen Firmengeschichte 1863-1963, Köln o. J. (1964), Jubiläumsschrift 50 Jahre Bayer von führenden Mitarbeitern hg. vom Vorstand der Farbenfabriken Bayer AG

Zusätzlich zu diesem optimierten Verfahrensablauf sorgte ein rasterförmiges Straßen- und Schienennetz mit 17km Länge für eine gute Verbindung zwischen den Abteilungen. Breite Magistralen mit 30, später auch 35 Metern Breite in beide Himmelsrichtungen sorgten für eine noch heute im Werk spürbare Weite und Großzügigkeit. Dazwischen gab es Nebenstraßen mit halber Breite. Wichtigstes Verkehrsmittel im Werk waren Eisenbahnen, deren Gleise in Normal- und Schmalspur auf diesen Straßen verlegt wurden. 

Da die rohstoffverarbeitenden Abteilungen direkt dem Rhein zugeordnet waren, konnte eine repräsentative Schauseite folgerichtig dort nicht entstehen. Diese Schauseite orientierte sich an einer Schmalseite des Werksgeländes nach Süden, ausgerichtet auf eine in der Fläche großzügig bemessene, anspruchsvoll gestaltete Parkanlage.

Anfangs wurde diese Schauseite wesentlich geprägt durch die Hauptverwaltung (1906-13) mit dem Tor 2, der 1911-13 erbauten, gegenüberliegenden Villa des 1912 zum Generaldirektor aufgestiegenen Carl Duisbergs und einem opulenten Kasino (1912-14) für die tägliche Verpflegung wie auch Veranstaltungen des gehobenen Personals. Allein die Hauptverwaltung bot Platz für 900 im Kasino zu verköstigende Beschäftigte. Für die Arbeiter gab es seit 1902 eine „Arbeiterspeiseanstalt“ für das zuhause zubereitete Essen, das ihnen Frauen oder Kinder zur Mittagszeit ans Werkstor brachten.

Kasino (im Vordergrund), Hauptverwaltung und Villa Duisberg. Luftbild um 1920.
Quelle: Bayer AG, Bayer Archiv Leverkusen

Kasino und Villa waren jenseits einer als Allee gestalteten Zufahrtsstraße, der Kaiser-Wilhelm-Allee eingebunden in den Carl-Duisberg-Park. Auffällig und außergewöhnlich in der Gebäudeanordnung war das direkte Gegenüber von Direktorenvilla und Hauptverwaltung in einer Zeit, als mit den immer mehr zunehmenden Aktiengesellschaften und weltweit agierenden Großunternehmen eine Anonymisierung von Eigentums- und Entscheidungsverhältnissen in der Industrie einherging.

Selbst Alfred Krupp, der jahrzehntelang seinen Wohnsitz auf dem Werksgelände hatte, residierte später mit der Villa Hügel in landschaftlich herausragender Umgebung auf einem Bergrücken über der Ruhr. Duisberg dagegen suchte die räumliche Verbindung zu dem von ihm geschaffenen Werk und demonstrierte damit geradezu gegenüber Öffentlichkeit und Beschäftigten seine Position als Schöpfer und Lenker. Die 1911-13 erbaute Villa wurde 1963 abgerissen. An ihrer Stelle steht heute die von Helmut Jahn 2002 geschaffene neue Konzernzentrale, die den Konzernmächtigen aus ihren Büros einen unverbauten Blick in den Carl-Duisberg-Park eröffnet.

Alte Hauptverwaltung und neue Konzernzentrale. Foto: Willy Borgfeldt / Leverkusen, 2021

Wesentlicher Bestandteil des Ursprungsensembles an der Werkssüdseite war der „Pförtner 2“ für die Angestellten und die im 1913 errichteten Wissenschaftlichen Hauptlaboratorium gleich hinter der Hauptverwaltung tätigen Chemiker des Unternehmens. Werkseingang für die Arbeiter war das an der östlichen Werkslangseite gelegene Tor 1, das 1912 mit einem opulenten, auch die Werksfeuerwehr aufnehmenden Torgebäude ausgestattet wurde.

Auf das Tor 1 war im Werk eine der breiten Ost-West-Magistralen ausgerichtet und führte auf der gegenüberliegenden Seite, der das Werk hier auf ganzer Länge begleitende Friedrich-Ebert-Straße  auf eines der vom Unternehmen betriebenen Kaufhäuser zu. Die das Werk am Zahltag häufig von ihren Frauen am Tor 1 empfangenen Arbeiter konnten so ihr Geld statt im Wirtshaus in Lebensmittel und andere Waren des täglichen Bedarfs umsetzen. Man spürt hier die allerdings in der Arbeiterbewegung auch kritisierte, fürsorglich-patriarchalische Art des Arbeitgebers.

Pförtner 1. Foto: Willy Borgfeldt / Leverkusen, 2021
„Pförtner 1“ und Covestro-Gebäude an der Friedrich-Ebert-Straße. Foto: Willy Borgfeldt / Leverkusen, 2021

Knapp anderthalb Jahrzehnte beherrschte der Dreiklang von Hauptverwaltung, Villa und Kasino die Kaiser-Wilhelm-Allee. 1928/29 kam mit der von Emil Fahrenkamp entworfenen, in die Fluchtlinie der Hauptverwaltung gesetzte Tablettenfabrik ein markant in Formen der Moderne stehendes Gebäude in der Werkssüdfront dazu. In Lage und Größe verweist es auf die inzwischen hohe Bedeutung der Pharma-Produkte des Konzerns, unter denen das 1897 entwickelte Aspirin hervorragte.

Von dieser Bedeutung zeugt auch die 1938/39 entstandene Pharma-Hauptverwaltung, die wieder von Emil Fahrenkamp nun aber in den während der NS-Zeit bevorzugten Monumentalformen des Neoklassizismus errichtet wurde. Rechtwinklig zur Hauptverwaltung angeordnet wirkt es als End- und Blickpunkt der Kaiser-Wilhelm-Allee.

Tablettenfabrik. Foto: Willy Borgfeldt / Leverkusen, 2021

Für Agfa, die 1873 in Berlin gegründete „Actien-Gesellschaft für Anilin-Fabrikation“, schon 1906 zum Dreibund, der „kleinen“ I. G. Farben gehörend und seit 1952 eine Tochtergesellschaft von Bayer entstand 1954 in der Werks-Südfront ein annähernd in die Fluchtlinie mit Hauptverwaltung und Tablettenfabrik gesetztes Agfa Büro-Hochhaus.

Das 9-geschossige Gebäude wurde aus der Flucht aus gestalterischen Gründen um 5,0 Meter zurückversetzt. Dadurch wurde eine Wagenvorfahrt mit markantem, oval-geformten Vordach über dem mittig gelegenen Haupteingang ermöglicht. Es korrespondiert optisch mit dem über dem zurückgesetzten Dachgeschoss schwebenden, vor die Fassadenflucht vorspringenden Flugdach.

Agfa-Hauptverwaltung. Foto: Willy Borgfeldt / Leverkusen, 2021

Zwei weitere architektonisch und städtebaulich bemerkenswerte Bauten der 1950er Jahre prägen das zur Öffentlichkeit hin orientierte Werksbild. An sehr prominenter Stelle entstanden an der Ecke Friedrich-Ebert-Straße / Kaiser-Wilhelm-Allee die nur dreigeschossige Poliklinik und das neungeschossige Sozialgebäude.

Noch größere städtebauliche Wirkung entfaltet im weiteren Verlauf der Friedrich-Ebert-Straße das 1950/51 erbaute Farbenlager mit dem auf dem Gebäude aufsitzenden, als Großlichtanlage ausgeführten Bayer-Kreuz. Mit einem Durchmesser von 51 Metern ist dieses Kreuz etwas kleiner als sein 1933 zwischen den Schornsteinen des Bayer-Kraftwerks montierter Vorgänger.

Weitaus weniger im Stadtbild prägnant ist heute der in eine Grünanlage von viel Blattwerk umgebende Bayer-Löwe. Ursprünglich hatte diese, nach einem Entwurf von Bernhard Hoetger 1924 geschaffene Skulptur ihren Platz auf einer der Kaiser-Wilhelm-Allee vorgelagerten Verkehrsinsel. Diese Wächterposition musste durch einen Straßenausbau aufgegeben werden.

Der Löwe sowohl im Bergischen Wappen, wie auch auf den Wappen der Städte Wiesdorf und Elberfeld verwendet, war seit 1881 ein beliebtes und auch für Bayer eingesetztes Warenzeichen. Hier an dieser Stelle aus großen blaßroten Porphyrblöcken errichtet, sollte der Löwe an den 1916 gegründeten zweiten, gegenüber der „kleinen“ I. G. vergrößerten Verbund der deutschen Chemieunternehmen erinnern.

Der Bayer-Löwe galt als Sinnbild der Farbenfabriken und deren durch den Zusammenschluss von 1916 verkörperte Macht und Stellung in der Welt. Als 1926 die I. G. Farben entstand, wurde die Skulptur selbstverständlich gern auch für diesen Trust mit amerikanischen Dimensionen in Anspruch genommen.

Bayer-Löwe. Foto: Willy Borgfeldt / Leverkusen, 2021

Die jüngste Vergangenheit wird im Werksbild präsentiert durch das Verwaltungsgebäude der 2015 gegründeten Covestro einem aus dem Bayer-Konzern ausgegliederten Global-Player der Kunststoffindustrie.

Bayer / CHEMPARK Leverkusen
Kaiser-Wilhelm-Allee 101-103
(Besucherempfang CHEMPARK Leverkusen)
51373 Leverkusen