Scheinbar ungerührt hat die geradezu monumentale steinerne Bayer-Löwin die vielen Jahrzehnte seit ihrer Schöpfung im Jahr 1924 überstanden. Sie hat Inflation, Kriegsjahre und Umzug überlebt und liegt als „Wächter in seiner katzenartigen Ruhe“, (Seibert 2020, S. 229) wie ihr Schöpfer, der Bildhauer Bernhard Hoetger für sie warb, seitlich an der Einfahrt zur Kaiser-Wilhelm-Allee, wo sie mit aufmerksamem Blick und gesammelter Energie die Zufahrt zu den Bayer „Headquaters“ überwacht. Dass ihre Entstehung nicht frei war von Irritationen zwischen dem Künstler und seinem Auftraggeber, dem damals höchst erfolgreichen und dabei sehr kunstsinnigen Bayer-Generaldirektor Carl Duisberg, lässt sich aus der Korrespondenz zwischen den Herren entnehmen. Wenn die Kunst zu übermütig wird, siegt der Sinn fürs Kaufmännische.
Ein Zeichen der Hoffnung
Schon seit 1895 stand der geflügelte Löwe mit dem Merkur-Stab auf der Weltkugel als symbolischer Beschützer von Handel und Gewerbe und als Zeichen von Selbstbewusstsein und Weltoffenheit für die erste Handelsmarke der Bayer-Produkte. Zwei stehende Löwen tragen seit 1904 das Logo des Fußballvereins Bayer 04. Abgesehen davon, dass sich das Restaurant im Bayer Kasino auch heute noch in vielfältiger Form mit einem Löwen-Logo ziert, wurde im Jahr 1923 die Idee geboren, das uralte Symbol für Macht und Stärke in einem Kunstwerk zum Ausdruck zu bringen.
Aus Anlass seines 40. Dienstjubiläums am 29. September 1923 wollte der Jubilar Carl Duisberg in Zeiten der wirtschaftlich katastrophalen Lage während der Hyperinflation nach dem ersten Weltkrieg ein Zeichen der Hoffnung setzen und kündigte an, an der Ecke von Kaiser-Wilhelm-Allee und Düsseldorfer Straße auf einem dort vorhandenen Dreieck ein Denkmal zu errichten, das als Sinnbild des wieder erstarkenden und sich erhebenden Deutschlands zu verstehen sei. Deshalb habe er den Künstler, Professor Bernhard Hoetger, damit betraut, entsprechend der Schutzmarke der Farbenfabriken einen Löwen zu schaffen. Bei der Lösung der Aufgabe sei er frei. Auch als mächtiges Symbol der Einheit der deutschen Farbstoffindustrie dem Ausland gegenüber wollte Duisberg das Kunstwerk verstanden wissen. Deshalb schlug er vor, die Fabrikmarken der acht 1916 zu einer Interessengemeinschaft zusammen geschlossenen Farbenfabriken auf dem Sockel anzubringen.
Einen entsprechenden Auftrag hatte Duisberg Hoetger bereits Anfang Juni erteilt, in der Hoffnung, dass das Werk zu seinem Jubiläum fertiggestellt sei. Doch erst ein Jahr später, Ende September 1924 war es soweit. Da lag die Löwin in ihrem Beet.
Einfachheit der Form
Bernhard Hoetger (geboren in Dortmund/Hörde am 4. Mai 1874, gestorben am 18. Juli 1949 in Interlaken) war ein deutscher Bildhauer, Maler, Architekt und Kunsthandwerker des Expressionismus. Er lebte sowohl in Paris (1900 bis 1907), wo er sich u.a. von Auguste Rodin und Aristide Maillot inspirieren ließ und gemeinsam mit Maillot die sogenannte „Einfachheit der Form“ in der Bildhauerei anstrebte. Später folgte seine Zeit in der Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe in Darmstadt (1909) und 1914 siedelte er um nach Worpswede, wo Hoetger sich ein expressionistisches Haus einrichtete.
Zu seinen frühen Förderern aus der Wirtschaft gehörten u.a. der Elberfelder Bankier August von der Heydt und der Bremer Kaufmann Ludwig Roselius, in dessen Auftrag Hoetger Skulpturen, Reliefs und Brunnen für die Böttcher Straße gestaltete. Auch Hermann Bahlsen war einer seiner Bewunderer und ließ Hoetger im Jahr 1907 einen ganzen Stadtteil mit Fabrik, Verwaltungsgebäuden und Wohnungen planen, der aber wegen des ersten Weltkrieges nicht realisiert werden konnte. Im Jahr 1911 wurde Hoetger zum Professor an der Kunstakademie Düsseldorf ernannt.
Später sympathisierte er mit dem Nationalsozialismus und wurde Mitglied der NSDAP. Sein Werk wurde dennoch als entartet gebrandmarkt, der Künstler aus der Partei ausgeschlossen. Ab 1934 wohnte er wieder in Paris.
Als Carl Duisberg als einer der bedeutendsten deutschen Unternehmer Hoetger den Auftrag zur Gestaltung des Bayer-Löwen erteilte, war es das erste Mal, dass der kunstsinnige und mächtige Bayer-Chef Kontakt aufnahm zu dem Künstler aus Worpswede. Eine Herausforderung, die Hoetger versprach, zur höchsten Zufriedenheit seines Auftraggebers zu lösen.
Der Löwe ließ auf sich warten
Duisberg war ein begeisterter Sammler moderner Malerei, er war es auch, der den Grundstein für Bayers Kunstsammlung legte. Schon früh initiierte er im Werk eine Kulturabteilung, die für den Sport, für Theater, Musik und Malerei zuständig war.
Enge Kontakte pflegte er beispielsweise zum Bildhauer Fritz Klimsch, der in Duisbergs Auftrag in den Jahren 1920 und 1921 mehrere Großplastiken schuf, die im Park an der Kaiser-Wilhelm-Allee (Link setzen) aufgestellt wurden. Dort findet sich auch der im Zentrum von Duisberg und seine Frau Johanna gestaltete Grabanlage von Klimsch gestaltete Floratempel.
Auch Hugo Lederer gehörte zu den Künstlern, die im Auftrag von Duisberg tätig wurden. Sein 1923 entstandener Caritas-Brunnen z.B. befindet sich auch heute noch hinter dem Kasino.
Nun also sollte auch Bernhard Hoetger seine Handschrift bei Bayer hinterlassen. Doch parallel zu der der Schöpfung des Werks ging es auch ums Finanzielle, denn Duisberg, so heißt es, führte die Preisverhandlungen mit seinen Künstlern in der Regel selbst, als Kunstfreund und Kaufmann in einer Person…
So bot Hoetger bereits kurz nach Auftragserteilung an, eine Modellskizze oder ein Gipsmodell von dem Werk anzufertigen, damit Duisberg sich bald schon ein Bild von dem Entwurf machen könnte. Er erbat dafür die Summe von 40 000 Goldmark, die das Unternehmen auch prompt überwies.
Doch der Entwurf eines Löwen für Leverkusen ließ auf sich warten. Auch eine von Duisberg erbetene Fotografie traf bis zum Jubiläum in Leverkusen nicht ein. Der Künstler wartete, wie er wissen ließ, zunächst auf den für seine Kreation notwendigen „heiligen Moment“ (Seibert 2020, S. 228) Nach dem Jubiläum jedoch erfolgte eine Mitteilung Hoetgers, der Löwe sei mächtig gewachsen. Die Gusskosten hätten sich dadurch erheblich verteuert. Drum bot er ein Tonmodell an oder nun auch eine Fotografie des etwa ein Meter großen Modells in seinem Atelier.
Anfang November bekam Duisberg diesen Entwurf zu sehen, den er sogleich begeistert kommentierte. So „finde ich und meine Freunde den Löwen, oder besser die Löwin, sehr gut. Ich halte die Wahl eines Muttertieres, das also um seine Familie besorgt ist, für recht passend und finde in dem erhobenen nach rückwärts gerichteten Haupt mit den stechenden Augen eine ausgezeichnete Versinnbildlichung des Mutes, den wir brauchen, und der Wachsamkeit, die nötig ist, um später einmal wieder – und das drückt die liegende Haltung des Tieres aus – in die Höhe zu kommen. Auch die eingezogenen auf den Kampf vorbereiteten Vordertatzen nebst Krallen entsprechen den Zeitverhältnissen, unter denen wir leben müssen.“ (Seibert, 220, S. 229) Besser kann man die Löwin wohl nicht beschreiben.
Ringen um die Kosten
Duisbergs Begeisterung hatte allerdings ihre Grenzen, als Hoetger einen Kostenvoranschlag für Realisierung und spätere Aufstellung des Kunstwerks in Höhe von 100 000 Goldmark vorschlug. Das ging dem Kaufmann Carl Duisberg zu weit. So erinnerte er den Künstler im fernen Worpswede per Brief an die schweren und wenig hoffnungsfreudigen Zeiten in Leverkusen. Da sei es ohnehin schon schwierig genug, ein solches Denkmal in Auftrag zu geben.
Hoetger verstand die Signale. Auch wenn er die Höhe seines Preises noch zu verteidigen versuchte und Duisberg in seinem Antwortbrief für dessen Übersicht und Kraft und seine große sozialen Leistungen überschwänglich lobte, so blieb ihm keine andere Wahl: entweder leer ausgehen oder das Kunstwerk vollenden – und zwar zu den Bedingungen, die Bayer diktierte.
Eine nüchterne Berechnung des Unternehmens sah vor, für die Ausführung des Löwen in Rochlitzer Porphyr in fünf Meter Größe, sowie für die dazu gehörigen acht Natursteinplatten mit den Fabrikmarken und für eine weitere Natursteinplatte mit Stiftungsurkunde dem Künstler 30 000 Goldmark zu vergüten. Sei Hoetger nicht einverstanden, müsse man von der Ausführung des Denkmals leider absehen.
Ob solch ein Schreiben Hoetger tatsächlich erreichte oder ob ein Treffen mit Duisberg stattgefunden hat bei dem über den Preis gesprochen wurde, lässt sich nicht sicher sagen.
Es kommt jedoch Tempo in den Schaffensprozess. Im Juli 1924 schickt Hoetger ein Bild der Löwin und benennt einen Vertrauensmann für ihre Aufstellung. Schließlich müsse für eine sorgfältige Behandlung der deutlich sichtbaren Fugen gesorgt sein.
Prominenter Platz für die Löwin
Ende September liegt dann das blassrote Monument der Löwendame tatsächlich an ihrem prominenten Platz, einer hübsch bepflanzten früheren Verkehrsinsel am Zugang zur Kaiser-Wilhelm-Allee von der Düsseldorfer Straße aus, ganz so wie Carl Duisberg es in seiner Jubiläums-Rede bereits angekündigt hatte. Auch die Platte mit dem Datum der Errichtung dürfte seiner Vorstellung entsprochen haben. Sie trug das Datum des Duisberg-Jubiläums, den 29. September 1923.
Bernhard Hoetgers Reaktion darauf ist nicht überliefert. Wohl aber die Begeisterung über sein höchst schwergewichtiges Werk. Die artikuliert er denn auch in seinem Brief an Carl Duisberg in dem er von der Löwin spricht, die wie eine helle Steinflamme als Zeichen sammelnder Energien an der Hauptstraße in Leverkusen liege. Über seiner Begeisterung vergisst er freilich nicht, den Restbetrag für seine Arbeit anzufordern.
Auch Duisbergs Reaktion auf das vollendete Werk ist freudig und höchst lesenswert: Es sei ihm „eine besondere Freude, die imposante und monumentale Löwin von Leverkusen aufgestellt vorzufinden. Gleich Ihnen stehe ich unter dem bezwingenden Eindruck Ihrer prachtvollen Schöpfung und freue mich, Leverkusen um ein so schönes Kunstwerk bereichert zu haben.“ (Seibert, 2020, S. 233) Die Hauptkasse der Farbenfabriken habe Anweisung, Hoetger die Restsumme von 2000 Mark, die noch auf dessen Forderung zu zahlen sei, umgehend zu überweisen.
Vor einigen Jahren musste die Löwin umziehen. Verkehrsplaner hatten ihr den angestammten Platz streitig gemacht und sie um einige Meter verrückt. Die Platte mit ihrem Entstehungsdatum ist offenbar nicht mit umgezogen.
Doch auch heute liegt die Löwendame wie zu Duisbergs Zeiten auf ihrem Sockel – wachsam, aber relaxt, präsent, aber zurückhaltend, ein wenig abseits, aber bereit, jederzeit einzugreifen. Ihre Entstehungsgeschichte behält sie für sich. Die Ähnlichkeit mit einer Sphinx ist frappierend…
Literatur und Quellen
Seibert, Winfried: Die Bayer-Löwin und der Konflikt zwischen Carl Duisberg und Bernhard Hoetger, in: Niederwupper. Historische Beiträge Heft 30, 2020, S. 221-236
Hartnauer, R.: Kunst in Leverkusen. Zum fünfzigsten Jahrestag des Eintritts von Dr. Carl Duisberg bei den Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. am 29. September 1933. Plastiken Bauten Gartenkunst; Leverkusen 1933
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