Bayer-Kaufhaus

am Pförtner 1

Um die schlechte Versorgungslage für die Werksangehörigen zu verbessern, wurden in der deutschen Industrie Konsumanstalten gegründet. Auch in Leverkusen entwickelte sich nach der Gründung des ersten „Consumvereins“ im Jahr 1895 die werksgebundene Vorsorge kontinuierlich weiter. Das noch heute erhaltene 1921-25 erbaute Bayer-Kaufhaus ist ein in den Bauformen überliefertes Beispiel für die von Bayer entwickelte Art der Warenversorgung.

Die Versorgung von Werksangehörigen mit Lebensmitteln gehörte seit dem 19. Jahrhundert für große Industriebetriebe zu den wichtigen Bestandteilen der sogenannten Wohlfahrtseinrichtungen. Zwei Vorbilder könnten für die Farbenfabrik Bayer zur Versorgung der Belegschaft mit Lebensmitteln eine Rolle gespielt haben: das englische Truck-System und die Konsumanstalten der Firma Krupp. 

Besonders in abgeschiedenen ländlichen Bereichen war das Versorgungsproblem offensichtlich. In England jedoch war das Truck-System unter Sozialreformern und Kapitalismus-Kritikern berühmt-berüchtigt, weil es als zusätzliches Element der Ausbeutung galt. Es wurde genutzt, um den Arbeitern Lohn mittels minderwertiger Waren zu überhöhten Preisen auszuzahlen. Das Trucksystem wurde in Großbritannien daher seit 1831 reglementiert und dann verboten. In Preußen galt das Verbot seit 1849. 

In der deutschen Industrie wurden Konsumanstalten als Alternative zum verrufenen britischen System entwickelt. Die Arbeiter sollten hier eine Gelegenheit zum günstigen Erwerb aller Waren für den Alltagsbedarf bekommen. 

Für das Bayerwerk Leverkusen galt es, die in Wiesdorf und den umliegenden Orten schlechte Versorgungslage durch eigene Werksläden auszugleichen. Heinrich Theodor Böttinger, Schwiegersohn Friedrich Bayers und seit 1880 Vorstandsmitglied des Unternehmens kannte – aus eigener Anschauung – sowohl das Trucksystem wie auch die deutschen Konsumanstalten. Böttinger, 1907 in den preußischen Adelsstand erhoben, wurde in England geboren und wuchs dort auf. Ihm dürfte das zwar schon in frühindustrieller Zeit entwickelte Trucksystem bekannt gewesen sein. Es war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch so weit verbreitet, dass es 1887 und 1896 noch einmal durch Truck Acts im Vereinigten Königreich reglementiert wurde.  

1896 reiste Böttinger nach Essen und informierte sich dort über die Krupp’schen Ledigenheime und Konsumanstalten. Er wird dort einige Anregungen für Leverkusen bekommen haben. Böttinger wurde 1907 Mitglied des Aufsichtsrats der Firma Bayer und blieb es bis zu seinem Tod 1920. 

Schon 1895, zwei Jahre vor der Reise Böttingers nach Essen wurde in Leverkusen ein „Consumverein“ gegründet. Daraus entstand 1897 die erste „Consumanstalt der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co“ an der Wiesdorfer Hauptstraße nahe der 1895-97 erbauten Werkssiedlung Kolonie I (Julia). Das kleine Gebäude war in Holzfachwerk errichtet und verweist auf die bescheidenen Anfänge der Bayer’schen Warenversorgung für die Werksangehörigen.

Bayer-Kaufhaus am Tor 1.
Foto: 2022 Willy Borgfeldt

1911 zeigte ein Neubau Ecke Wöhlerstr./Nobelstr. nahe der Kolonie II (Anna) welche Dimensionen dieser Zweig der werksgebundenen Daseinsvorsorge erreichte. Das Gebäude konnte sich messen mit den Warenhäusern größerer Städte und bot nicht nur Lebensmittel, sondern unterhielt auch das für sonstige Warenhäuser dieser Art typische Sortiment.

Der Neubau in Wiesdorf war das Haupthaus eines dann sich über viele Nachbarorte erstreckenden Systems von Werksläden. Es entstanden Filialen in Schlebusch, Steinbüchel, Küppersteg, Mathildenhof, Rheindorf, Opladen, Alkenrath und (Köln-) Flittard.

Im Zweiten Weltkrieg stark zerstört wurde das Haupthaus in der Nachkriegszeit mit Flachdach wieder aufgebaut, 1970/71 noch um 6000 qm erweitert und 1988 mit neuer Fassade ausgestattet. Es wurde 2007 geschlossen und ein Jahr später abgebrochen, um dem Einkaufszentrum Rathaus-Galerie Platz zu machen. Auch die Filialen überlebten die Supermärkte und Discounter nicht, wurden nach ersten wirtschaftlichen Schwierigkeiten an die Spar-Gruppe veräußert, dann aber nach wenigen Jahren geschlossen und weitgehend abgerissen.

Das 1921-25 erbaute Kaufhaus an der Friedrich-Ebert-Allee ist ein in den Bauformen überliefertes Beispiel für die von der Firma Bayer entwickelte Art der Warenversorgung. 

Ein hohes, schiefergedecktes Mansarddach setzt einen wirkungsvollen Kontrast zu dem hellgestrichenen, dreigeschossigen Putzbau. Wie das Dach verweisen auch die grau von den Wandflächen abgesetzten Fensterumrahmungen besonders aber der Figurenschmuck auf die neobarocke Orientierung des Gebäudes. In den Brüstungsfeldern der Fenster im zweiten Obergeschoss bereichern reliefartig vorspringende Putten das Fassadenbild. Und die rundbogigen Türöffnungen in den Seitenflügeln werden von Ornamentik begleitet. 

Die Gestaltung der angeschrägten Gebäudeecke zur Philipp-Ott-Straße belegt eine sicher gewollte, städtebauliche Wirkung des Gebäudes, die auch auf den gegenüberliegenden Pförtner 1 bezogen ist. Der vor dem Gebäude sich bildende kleine Dreiecksplatz wird noch einmal betont durch die um einige Meter hier zurückspringende, vierachsige Hauptfront. Mit diesem Kunstgriff städtebaulicher Art, gewinnt auch die Fassade an Monumentalität, weil das hier ebenfalls zurückspringende Mansarddach mit diesem Fassadenrücksprung so vermittelt wird, dass hier eine lebendige Dachlandschaft entsteht. Wie historische Abbildungen zeigen, waren die großen, überwiegend zu dem kleinen Platz hin orientierten Ladenfenster korbbogig ausgebildet. Kandelaber begleiteten hier die Öffnungen, wie Konsolen an der heutigen Fassade auch noch andeuten.

Das Kaufhaus am Pförtner 1 war nicht nur architektonisch auf das an der gegenüberliegenden Straßenseite gelegene Torgebäude orientiert. Die an das eigentliche Kaufhaus anschließenden Flügel entlang der Friedrich-Ebert-Straße und der Philipp-Ott-Straße dienten als Wohnhäuser und sollten den Feuerwehrleuten der gegenüberliegenden Feuerwache einen für Einsätze denkbar nahe gelegenen Wohnraum bieten.

Walter Buschmann

Ortsinformation:

Friedrich-Ebert-Allee 325, 327, 329
Phillip-Ott-Straße 1, 3
51373 Leverkusen

Literatur

  • Drekopf, Norbert u.a.: Bayer kommt an den Rhein. Wiesdorf und das Werk 1891-1912, Leverkusen 1991
  • Verg, Erik/ Plumpe, Gottfried: Meilensteine. 125 Jahre Bayer 1863-1988, Leverkusen 1988
  • Wohlfahrtseinrichtungen der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co, Leverkusen b. Köln am Rhein, 1922