Bayer-Beamtensiedlung

Unternehmensbindung durch Wohnqualität. Die Bauabteilung der Bayer-Werke schafft mit ihrem Variantenreichtum an jeweils zeitgemäßen architektonischen Lösungen denkmalwerte Siedlungen für die „Privat-Beamten“ und Direktoren. Auch die nach dem zweiten Weltkrieg entstandenen Mehrzweckhäuser gelten als bemerkenswert. 


Geschichte

Wesentliche organisatorische Voraussetzung für das erfolgreiche Gelingen des seit 1895 geplanten Werksaufbau der Farbenfabriken Friedrich Bayer & Cie in Leverkusen war nicht nur die Unterbringung von Arbeitern und Angestellten, sondern zunehmend auch die Schaffung standesgemäßer Wohnmöglichkeiten der Unternehmensleitung.

Carl Duisberg leitete deshalb schon um 1895 den Bau der ersten Arbeitersiedlung zwischen Wiesdorf und der Fabrik, nördlich der Fabrik, sowie einer eigenen Siedlung für Angestellte – damals „Privat-Beamte“ genannt – und Direktoren östlich der Fabrik ein. Hier bestanden mit der Düsseldorfer Chaussee, auf der bald auch eine Straßenbahn zwischen Mülheim, Wiesdorf und Opladen verkehrte, und der Köln-Mindener Eisenbahn gute Verkehrsverbindungen auch in die Nachbarstädte. Trotzdem zogen viele leitende Mitarbeiter es vor, sich in Mülheim niederzulassen, wo höhere Schulen, zahlreiche Geschäfte auch für gehobenen Bedarf sowie Gaststätten und Vereine existierten.

Die ersten – heute nicht mehr vorhandenen – Beamtenhäuser entstanden unmittelbar beiderseits der Düsseldorfer Chaussee, heute Friedrich-Ebert-Straße. Es handelte sich überwiegend um sogenannte „Halbvillen“, d.h. einseitig angebaute Einfamilienhäuser, zunächst wie die Arbeiterkolonie als Sichtbacksteinbauten gestaltet, allerdings mit eigenen Schmuckgärten vor und hinter dem Haus. Gehobener Standard wie fließendes Wasser, Innentoiletten und elektrisches Licht gehörten zur Grundausstattung. Telefone dienten nicht zuletzt der ständigen Erreichbarkeit der Mitarbeiter.

Bald darauf wurde das Gelände östlich der Chaussee bis zur Bahntrasse durch die parallel verlaufende heutige Carl-Duisberg-Straße und die bogenförmig geführte Carl-Rumpff-Straße erschlossen. Ein rechteckiger, begrünter Platz (Friedrich-Bayer-Straße) verband die Straßen und schuf einen großzügigen Freiraum, um den sich die Villen aufreihen konnten. In der Achse der Henry-Theodor-von-Böttinger-Straße, der Verlängerung der Kaiser-Wilhelm Allee, entstand kurz vor der Jahrhundertwende ein Reihenhausensemble in gelbem Backstein, das „Jungakademikerhaus“. Im südlichen Bereich wurden einige größere Einzelvillen für Direktoren angelegt.

Lageplan mit heutigem Gebäudebestand und den als denkmalwert eingestuften Gebäuden.
Quelle: Stadt Leverkusen, Untere Denkmalbehörde

Die Beamtensiedlung wurde schrittweise erweitert, wobei jeweils neue, aktuelle Haustypen und Stilformen zur Anwendung kamen. So errichtete man Mitte der 1920er Jahre erstmals Häuser mit großen Etagenwohnungen. Die Straßen der Siedlung tragen Namen von Vorstandsmitgliedern aus der Gründungszeit der Aktiengesellschaft. 

Schon 1911 hatte das Unternehmen für Mitarbeiter und Direktoren, die eigene Häuser errichten wollten, auch auf Drängen der Gemeinde die Siedlung Eigenheim ins Leben gerufen.

Im Osten schloss sich der 1912 eingeweihte Bahnhof Wiesdorf/Bayerwerk an, während westlich der Düsseldorfer Straße das neue Tor 1 mit Feuerwache entstand.

Schaubild eines Teilbereichs der Siedlung.
Quelle: Bayer AG, Bayer Archives Leverkusen

Bis 1926 war Leverkusen in einem rechtsrheinischen Brückenkopfes der Alliierten Teil der britischen Besatzungszone. Vor allem in der Beamtensiedlung und der Siedlung Eigenheim waren zahlreiche Bauten für die Besatzung beschlagnahmt, ebenso wie die „Wohlfahrtsbauten“ des Unternehmens. Die in dieser Zeit errichteten neuen Wohnbauten sind viel schlichter und folgen nur wenigen Grundtypen. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden schrittweise die unmittelbar am Werk, an der Friedrich-Ebert- und westlich der Carl-Duisberg-Straße, gelegenen ältesten Häuser abgebrochen. Grund dafür waren einerseits der zunehmende Verkehr und Straßenerweiterungen, aber auch die Emissionen und die Gefahren durch den Betrieb des Chemiewerks. Neue Wohnbauten entstanden nur noch im südöstlichsten Bereich (Ludwig-Girtler-Straße) und sind nicht Teil des eingetragenen Denkmals Beamtensiedlung. Im nordöstlichen Bereich wurden auch Garagenhöfe angelegt.

Die meisten Bauten der Siedlung sind bis heute im Eigentum des Bayerwerks bzw. seiner Nachfolgeunternehmen und dienen als Werks- und Dienstwohnungen.  

Beschreibung

Der erhaltene Teil der Siedlung erstreckt sich in Nord-Süd-Richtung beiderseits der Carl-Rumpff-Straße und der nördlich anschließenden Christian-Heß-Straße. Mehrere Querstraßen verbinden diese mit Carl-Duisberg- und Friedrich-Ebert-Straße.

Der älteste erhaltene Bau ist das um 1900 errichtete Gruppenwohnhaus Carl-Rumpff-Straße 47-67, das sogenannte „Jungakademikerhaus“. Es bildet den östlichen Abschluss der aus Kaiser-Wilhelm-Allee und Henry-Theodor-von Böttinger-Straße gebildeten Achse. Die aus elf Einheiten gebildete symmetrische Anlage besteht aus Reihenhäusern, flankiert von zwei „Halbvillen“ an den Enden. Gerundete Giebel betonen das Zentrum und die Enden der Reihenhauszeile. Gelber Backstein der Fassaden und einheitliche Detailausbildung prägen die Gesamtwirkung des breit gelagerten, zweigeschossigen Baus.

Gruppenwohnhaus Carl-Rumpff-Str. 47-67, „Jungakademikerhaus“, 1902.
Foto: Willy Borgfeldt / Leverkusen, 2021

Der unmittelbar folgenden Zeit gehören die vor allem an den Querstraßen aufgereihten, aus aufwendig individuell gestalteten Halbvillen zusammengesetzten Doppelhäuser an. Straßen- und Seitenfassade jeden Hauses sind zu plastisch wirkenden räumlichen Architekturen ausgestaltet, die von verputzen Wandflächen, Natursteinsockeln und Details, Backsteinelementen bis hin zu Fachwerkbauteilen die ganze Bandbreite der Materialien und Formen des spätwilhelminischen Historismus ausbreiten. So erhält fast jedes Haus ein individuelles Gesicht, obwohl sich darin natürlich nicht die Wünsche eines privaten Bauherrn, sondern die variantenreiche Phantasie der entwerfenden Bauabteilung des Unternehmens spiegeln.

Im letzten Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg werden auch die vielfältigen Ansätze der Reformarchitektur jener Zeit sichtbar: Anleihen an einfachere Motive aus Renaissance und Barock, an Traditionen bürgerlichen und regionalen Bauens treten hervor, hier am Rande des Bergischen Landes insbesondere auch die neobergische Bewegung in ihrem Dreiklang von hellem Putz, Schiefer und weiß gestrichenem, barocken Holzwerk, verbunden mit polygonalen Erkern und Türmen, bekrönt von glocken- und zwiebelförmigen Schieferhauben.

Besonders auffällig ist dies bei den Vorstandsvillen am südlichen Ende der Siedlung der Fall. Das freistehende Haus für den Chemiker Dr. Richard Bayer (Carl Rumpff-Straße 77) wurde ausnahmsweise nicht in der Bauabteilung des Werks, sondern von dem Wuppertaler Architekten Carl Conradi, einem der Hauptvertreter der neobergischen Bewegung, entworfen.

Nach dem Ersten Weltkrieg werden Typenbauten in Doppel- und Etagenwohnhausform erstellt, insbesondere an der Carl-Duisberg-Straße und im nördlichen Bereich der Siedlung. Sie werden jedoch meist abwechselnd bzw. mit Abstand zueinander angeordnet, so dass ein abwechslungsreiches Straßenbild entsteht. Die Doppelhäuser werden nun als geschlossene, einheitliche Baukörper gestaltet, die über symmetrisch angeordnete Eingänge mit Vordach verfügen. Ein mehrfach auftretender Etagenwohnhaus-Typ wird von der Schmalseite her mit einem turmartig vorgesetzten Treppenhaus erschlossen.

Bemerkenswert sind die in den 1950er Jahren errichteten Mehrfamilienhäuser in Zeilenbauweise mit ihren leicht ausschwingenden Balkonen (Ludwig-Girtler-Straße). Die Zeilen sind rechtwinkelig zur Straße angeordnet und in eine gemeinsame Grünanlage eingebettet.

Alexander Kierdorf

Ortsinformation:

Kaiser-Wilhelm-Allee 60
51373 Leverkusen

Literatur

  • Wohlfahrtseinrichtungen der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co, Elberfeld, 1902, S. 105-112
  • Wohlfahrtseinrichtungen der Farbenfabriken, Elberfeld-Leverkusen, 1910, S. 75-112
  • Wohlfahrtseinrichtungen der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co, Leverkusen bei Köln am Rhein 1922, S. 25-42
  • Pufke, Andrea (hg.): Siedlungen in Nordrhein-Westfalen: Rheinschiene, Bd. 2: Königswinter bis Wuppertal, Petersberg 2021, S. 986-994
  • LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland, Gutachten Bayer-Siedlungen von 1986 (Barbara Fischer)