Bayer Tablettenfabrik

Als Ende der 20er Jahre das Bayer-Werk auch als pharmazeutischer Produktionsstandort ausgebaut werden sollte, erhielt der Düsseldorfer Architekt und Lehrer an der Kunstakademie Emil Fahrenkamp im Jahr 1928 den Auftrag zum Bau der Tablettenfabrik. Die von ihm geplante Anlage als zwölfgeschossiger Turmbau und mehr als hundert Meter langer fünfgeschossiger Flügelbau wurde vom Auftraggeber gelobt „als fein durchgebildete Architektur, ein prächtiges Bild und eine schöne Seitenfassade“. Realisiert wurde allerdings zunächst lediglich der Flügelbau mit der ihn charakterisierenden Pfeilerarchitektur. Der Turmbau hat seine geplante Höhe nicht erreicht. Dennoch gilt der seit 1949 sechsgeschossige Bau bis heute im werksinternen Sprachgebrauch als Turmbau. 

Auch die Pharma-Sparte ging bei Bayer aus der Farbenchemie hervor. Die baulichen Anlagen im pharmazeutischen Bereich des Bayerwerks in Leverkusen waren jedoch Resultate der zweiten oder sogar dritten Generation in der Entwicklung der Pharmaindustrie, wenn man die sehr viel weiter ins 19. Jahrhundert zurückreichende Geschichte der industriellen Herstellung von Pharmaprodukten etwa bei Schering in Berlin oder bei Hoechst in Frankfurt am Main zum Vergleich heranzieht. Immerhin hatte Carl Duisberg in seinem Masterplan von 1895 bereits einen, allerdings nur schmalen Block für die „V. Abteilung für pharmazeutische Produkte“ vorgesehen.

Die Anfänge pharmazeutischer Produktion der Fa. Bayer lagen in Wuppertal, wo 1888 Phenacetin hergestellt wurde. Knapp zehn Jahre später gelang 1897 mit der Entwicklung von Aspirin, zunächst in Pulver-, dann in Tablettenform der ganz große Wurf. Aus den Bayer-Laboratorien gingen viele andere Heilmittel hervor. Das Unternehmen erwarb sich besonders einen Namen bei der Bekämpfung von Tropenkrankheiten. Forschung und Produktion auf dem Gebiet der Arzneimittel blieben jedoch zentral in Elberfeld. Erst nach Gründung der I.G.-Farben 1925 mit Einrichtung der Verkaufsgemeinschaft für Pharmazeutika des Konzerns in Leverkusen 1928, wurde das Werk auch als pharmazeutischer Produktionsstandort ausgebaut. Die Tablettenfabrik von Emil Fahrenkamp, 1928/29 erbaut, war baulicher Ausdruck für die pharmazeutische Aufwertung des Leverkusener Standorts.

Baugeschichte der Tablettenfabrik

Erste Pläne zeichnete der Architekt Emil Fahrenkamp 1927. Dem Bauantrag vom November 1927 ging ein vermutlich ebenfalls von Fahrenkamp gelieferter Vorentwurf voraus, der als perspektivische Ansichtszeichnung überliefert ist. Anfang 1929 war der Bau allerdings in reduzierter Form fertiggestellt. Fahrenkamp hatte die Anlage als Kombination aus Turmbau und langgestrecktem Flügelbau konzipiert. Ausgeführt wurde zunächst nur der fünfgeschossige Flügelbau.

Tablettenfabrik vor 1938. Im Vordergrund fehlt noch der 1938/39 zugefügte „Turmbau“.
Quelle: Bayer AG, Bayer Archiv Leverkusen
Ostansicht der Tablettenfabrik von der Kaiser-Wilhelm-Allee.
Foto: Willy Borgfeldt / Leverkusen, 2021

Erst 1939 wurde der Turmbau begonnen und allerdings nur viergeschossig ausgeführt. 1949 erfolgte die Aufstockung auf sechs Geschosse, so dass erst jetzt dieser Gebäudeteil den Flügelbau überragte. Obwohl auch jetzt noch weit von der durch Fahrenkamp geplanten Höhe von 12 Geschossen entfernt, gilt dieser Baukörper auch im heutigen werksinternen Sprachgebrauch als Turmbau.

1958 und 1961 wurden dem Hauptbau rechtwinklig nach Norden zwei weitere Flügelbauten angefügt. Der Hauptbau selbst wurde durch Teilaufstockung für eine Cafeteria 1985 und Anbau eines Lastenaufzugs an der Westseite 1986 verändert. Das Gebäude gehört heute zu dem aus der Bayer-Kunststoffsparte hervorgegangenen Hersteller von Polymer-Werkstoffen.

Auch im aktuellen Erscheinungsbild wird die von Fahrenkamp geschaffene Baukörpergliederung der Backsteinanlage mit Turmbau im Westen und daran anschließendem Flügelbau virulent.

Mitteltrakt der Tablettenfabrik.
Foto: Willy Borgfeldt / Leverkusen, 2021

Als Pendant zum Turmbau ist auch das westliche Kopfende des Flügels akzentuiert mit einem aus der Flucht der Westfassade vorspringenden Treppenhaus als einer Art Eckrisalit in der zur Allee ausgerichteten Südfassade. Dieser Risalit ist dreiachsig und erhebt sich über einem Arkadengang.

Westlicher Kopfbau der Tablettenfabrik.
Foto: Willy Borgfeldt / Leverkusen, 2021

Der anschließende, mehr als hundert Meter lange Hauptbau wird streng gegliedert durch kräftig vorspringende, über die ganze Höhe der Fassaden reichende Backsteinpfeiler. Die Pfeiler als dominierende Gestaltungsmittel reichen über den Rand der Traufe leicht hinaus, während das oberste Geschoß leicht von der Flucht zurückweicht. Die Fenster sind als liegende Formate ausgebildet und differenzieren damit die vertikale Ausrichtung der Architektur.

Der 1939/49 entstandene Turmbau lehnt sich mit seinen Backsteinpfeilern eng an die Formensprache des Flügels an. Die Fenster sind jedoch sehr viel kleiner und hochrechteckig ausgebildet.

Die Konstruktion des Gebäudes wurde als Stahlbetonrahmenbauweise ausgeführt. Die blau-roten Klinkerfassaden erhielten eine schwarze Verfugung. Art und Farbigkeit der Verfugung wurde von einer eigens zusammengerufenen Kommission und unter Besichtigung von Vergleichsbeispielen entschieden.

Im Inneren des Gebäudes ist nach Auslagerung der Produktion und Umwandlung der Geschosse in Labor- und Büronutzungen kaum bauzeitliche Ausstattung erhalten. Im Flügelbau gibt es drei Treppenhäuser mit massiven Treppen. Zwei Treppenhäuser sind noch mit den von Fahrenkamp gestalteten Handläufen ausgestattet. Das Haupttreppenhaus in der Westfassade schließt in einem großzügigen Treppenauge einen Paternosteraufzug ein.

Architekturhistorische Würdigung

Der Auftraggeber war mit der von Emil Fahrenkamp mehrfach geänderten Fassadengestaltung abschließend hoch zufrieden. Sie wurde gelobt als „…fein durchgebildete Architektur, ein prächtiges Bild und eine schöne Straßenfassade.“

Für die den Charakter der Tablettenfabrik wesentlich bestimmende Pfeilerarchitektur lassen sich zu diesem Zeitpunkt auch im Rheinland eine Reihe von Beispielen benennen: 1925/26 die Tonhalle von Wilhelm Kreis in Düsseldorf, 1925 das Verwaltungsgebäude des Stumm-Konzerns in Düsseldorf von Paul Bonatz und 1926-28 das Hauptgebäude der Kölner Messe von Adolf Abel. Fahrenkamp hatte diese Pfeilerarchitektur schon 1921/22 für die Rheinstahl AG in Nürnberg verwirklicht und darf damit als ein Pionier einer Architektursprache gelten, die Hans Hertlein in Berlin dann zu einem Markenzeichen der Siemens-Bauten machte. Die Tablettenfabrik in Leverkusen steht also in einer ganzen Reihe gleichartiger Bauten und ist daher für die Architekturgeschichte der 1920er Jahre von Bedeutung.

Interessant ist die Lage der Fabrik innerhalb der Werksorganisation. Sie liegt nicht nur am Rand des Werksgeländes mit Bezug zum öffentlichen Raum, sondern mehr noch: sie ist Teil der Hauptschauseite des Werkes und steht in einer Reihe mit dem Hauptverwaltungsgebäude. Dies mag die Wahl des renommierten und überregional bekannten Architekten Emil Fahrenkamp erklären sowie die in mehreren Alternativen mit großer Sorgfalt entwickelten Fassadenentwürfe. Ein Fabrikbau, ein Ort industrieller Produktion, ergänzte die Repräsentationsbauten und wurde eingesetzt zur Selbstdarstellung des Unternehmens. Es entstand eine sachliche Architektur, die sich deutlich anlehnt an die Ideale des Internationalen Stils, ohne aber ganz deren Radikalität nachzuvollziehen.

Walter Buschmann

Ortsinformation:

Kaiser-Wilhelm-Allee 60
51373 Leverkusen