Bayer Konzernzentrale

Größer kann ein Kontrast kaum sein: Auf der einen Straßenseite der Kaiser-Wilhelm-Allee 1 purer Historismus mit aufwändiger Bauornamentik aus rotem Sandstein, reich ausgestattetem Vestibül und einem als Ehrenhalle gestalteten Treppenhaus: Die ehemalige Hauptverwaltung aus den Jahren 1906-1912, ein Gestus der Macht und der Repräsentation, erbaut zum 50-jährigen Bestehen der Farbenfabriken Bayer. 900 Mitarbeiter sollten hier Platz finden. Zugleich wurde mit dem eindrucksvollen Bau der Firmensitz von Elberfeld ins damalige Wiesdorf (seit 1930 der damals neugegründeten Stadt Leverkusen zugehörig) verlegt.  

Exakt auf der anderen Seite der Allee Transparenz aus Glas und Stahl, mit einem weiten, lichten Entree, in dem ein System von Brücken und scheinbar frei schwebenden Treppen drei Etagen verbindet. Auch hinter der Schranke in der Lobby herrscht Durchsicht – bis weit in die gepflegte Parklandschaft hinein. Schaut man das Gebäude von dort aus an, so scheint es mit seinen zwei gläsernen, halb-elliptischen, je 180 Meter langen Seitenflügeln aus dem umgebenden Grün zu erwachsen: Die Konzernzentrale von Helmut Jahn aus dem Jahr 2002.  

Die dritte Konzernzentrale, das Bayer-Hochhaus, das zum 100-jährigen Bestehen des Unternehmens im Jahr 1962 die alte Hauptverwaltung abgelöst hatte, existiert nicht mehr. Es wurde 2012 abgerissen. 

Zeichen des Wirtschaftswunders

Die dritte Konzernzentrale, das Bayer-Hochhaus: Neben dem Bayer-Kasino und dem Glashaus von Helmut Jahn stand das ehemals größte Bürogebäude Deutschlands, geplant vom Düsseldorfer Architektenbüro HPP und erbaut in den Jahren 1960-63.

Das 32-geschossige Scheibenhaus war ein typischer Vertreter des International Style. Als weithin sichtbares Wahrzeichen Leverkusens demonstrierte es zudem optimale Ausnutzung teurer und wertvoller Grundfläche unter Wahrung von Freiflächen im Carl-Duisberg-Park. Der Skelettbau mit seinen Großraumbüros, die im Laufe der Jahre in Zellenbüros umgewandelt worden waren, galt lange als Symbol des Rheinischen Kapitalismus und Zeichen des deutschen Wirtschaftswunders. Schließlich sollte einer Top-Position auf dem Weltmarkt auch Form und Größe des Verwaltungssitzes entsprechen, brachte Dr. Manfred Schneider, der Vorstandsvorsitzende der Bayer AG die damalige Unternehmensphilosophie auf den Punkt. 1
Weltgeltung war bereits in den Gründungsjahren der Farbenfabriken Bayer ein erstrebtes Ziel. 10 Prozent aller Bayer-Beschäftigten arbeiteten 1913 im Ausland.

Auch kurz nach der von den Alliierten angeordneten Entflechtung der IG Farben AG und dem Zusammenschluss der Werke Leverkusen, Elberfeld, Dormagen und Uerdingen im Jahr 1951 in der Farbenfabriken Bayer AG, später der Bayer AG, [siehe Entstehungsgeschichte] wurde ab den 50er Jahren die Internationalisierung wieder wichtige Geschäftsgrundlage.

Dennoch ging der Vorstand gegen Ende der 90er Jahre auf Abstand zum Bayer-Hochhaus. Es passe nicht mehr zum Firmen-Image, sei in die Jahre gekommen und technisch wie wirtschaftlich nicht mehr zeitgemäß. Die unternehmerischen Leitlinien lauteten nun: kleiner, moderner, bescheidener. Vor allem: Transparenz.

So fiel die Entscheidung bei einem Architektenwettbewerb im Jahr 1998 auf einen Neubau nach dem Entwurf von Helmut Jahn.

Seit 2001 drohte dem 122 Meter hohen, inzwischen leer stehenden ehemaligen Verwaltungssitz der Abriss, der sich in den nächsten Jahren aber immer wieder verschob. Es gab verschiedene Ansätze zu seiner Rettung: Zwischenzeitlich sollte der Bau mit einem mit Millionen LED-Leuchten gespickten Edelstahlnetz überzogen und für die Präsentation von Kunstinstallationen und Werbebotschaften genutzt, zu Deutschlands größter Medienfassade werden. Doch wegen technischer Probleme nahm Bayer davon Abstand. Auch gegen eine Sanierung des markanten Turms hatten nach Ansicht der Unternehmensleitung sowohl technische als auch wirtschaftliche Gründe gesprochen. So ließ sie am 20. Januar 2011 offiziell wissen, dass das Gebäude endgültig abgerissen wird. Es sollte nur 50 Jahre alt werden. Seit dem 3. August 2012 ist das Bayer-Hochhaus Geschichte.

Der von Helmut Jahn geplante Bau hatte damals längst seine Aufgabe als neue Konzernzentrale übernommen.

Transparent und zukunftsweisend

„The future is never wrong.“ Mit diesen Worten hatte der 1940 in Nürnberg geborene Helmut Jahn, weltweit angesehener Architekt und seit 1973 Vizedirektor des Büros F.C. Murphy in Chicago (Helmut Jahn starb 2021 in Campton Hills Illinois bei einem Fahrradunfall), seine Rede zur Grundsteinlegung am 25. Mai 2000 geschlossen. Zuvor hatte er sein Konzept erläutert: „Der Neubau ist von einer Transparenz, die im bewussten Gegensatz zu den steinernen Altbauten steht und die Bayer AG symbolhaft und zukunftsweisend im 21. Jahrhundert repräsentiert. Das Gebäude wirkt selbstverständlich, ohne Ausdruck von großindustrieller Macht, ohne falsche Bescheidenheit. Es ist kein Gebäude des Rückblickens, sondern ein Gebäude, das die Möglichkeiten der Gegenwarten intelligent und verantwortungsbewusst für die Zukunft anwendet“. Seine vier wichtigsten Eigenschaften umriss Jahn knapp: funktional und flexibel, technisch und innovativ, ökologisch im Betrieb, komfortabel in der Nutzung. 2

Für Tragwerk und Glaskonstruktion hatte er eines der innovativsten Ingenieurbüros an seine Seite geholt: Professor Werner Sobek und Partner aus Frankfurt, deren Unternehmen weltweit für Engineering, Design und Nachhaltigkeit steht, wie es der Firmenauftritt im Netz beschreibt.

Ökologisches Energie- und Klimakonzept

Das innovative ökologische Energie- und Klimakonzept war denn auch eine der wesentlichsten Herausforderungen des Neubaus. Ziel sei es, mit einer zweischaligen Gebäudehülle und dem Aktivspeichersystem, einer Betonkühlung und -heizung mit einem Minimum an Technik ein Maximum an Behaglichkeit kostengünstig und umweltverträglich zu erreichen, umriss Projektleiter Wolfgang Zimmermann die technische Konzeption 3. Dabei sollten auch die Bayer-Chemiewerkstoffe für Sicherheit, Brandschutz, Härte, Elastizität etc. so weit wie möglich zum Einsatz gelangen.

So entstand im Laufe von zwei Jahren ein vollständig verglastes Gebäude, das sich in seiner Bogenform zum angrenzenden Carl-Duisberg-Park hin öffnet. Die Gesamtlänge der verschiedenen Kreissegmente beträgt etwa 180 Meter, seine Tiefe 22,5 Meter. Zwischen Ost- und Westflügel schiebt sich die Eingangshalle zur Kaiser-Wilhelm-Allee vor. Stufen aus Lochblech und verglaste Aufzüge erschließen die verschiedenen Ebenen des Gebäudes. Davor und parallel zur Allee steht eine 120 Meter lange und 16 Meter hohe, mit transparenten Makronom-Elementen (ein von Bayer entwickelter robuster Kunststoff) belegte Pergola, die über der Eingangshalle zu schweben scheint.

Das Tragwerk des Baus ist als Stahlbeton-Skelettbau mit einer minimalen Anzahl von aussteifenden Wandscheiben ausgeführt. In den beiden Untergeschossen sind Tiefgarage und Haustechnik untergebracht. Die Sichtbetondecken der Obergeschosse wurden mit einer wasserdurchflossenen Betonkerntemperierung versehen und auf der Unterseite durch sogenannte Kalotten (abgeflachte Kugelkappen) strukturiert, die eine Gewölbeform bilden.

Die äußere Hülle der Glasfassade ist vom Dach abgehängt. Eine Vielzahl von Klappen, die man beim Rundgang um das Gebäude sieht, ermöglichen eine natürliche Belüftung des Zwischenraums, sind aber auch optisch zusammen mit den Sonnenschutzlamellen stilprägend und steigern die Horizontalwirkung der Fassaden.

Auch die Flachdachstruktur verdient Beachtung: Beim Blick in die Höhe in der Lobby sieht man durch zahllose Glaselemente in den Himmel. Die Planer hatten sich bei dem gesamten Bau für eine Edelstahl- bzw. Glaspaneel-Deckung entschieden, die als Fortsetzung der Fassade gesehen werden kann. Wie in einzelne große Fensterrahmen können je nach Nutzung der darunter liegenden Räume Paneele aus Edelstahl oder Glas eingesetzt werden.

Offizielle Einweihung

Am 22.Oktober 2002 wurde die neue, 23 000 Quadratmeter große Zentrale des Bayer-Konzerns offiziell eingeweiht. Für 50 Millionen Euro waren 200 Büroräume für 275 Mitarbeiter auf drei Etagen entstanden. Für Bayer ist dies die dritte Unternehmenszentrale. Sie soll, wie der Vorsitzende des Vorstands, Dr. Manfred Schneider, bereits bei der Grundsteinlegung sagte, auch die Vorstellung eines modernen, offenen, auf die Zukunft ausgerichteten Weltkonzerns im 21. Jahrhundert widerspiegeln 4.

Wie hatte Helmut Jahn damals gesagt: „The future is never wrong…“ 5

Autor

Birgit Klausmann

Anmerkungen

1) https://www.leverkusen.com/db/presse.php?view=00015608
2) https://www.leverkusen.com/db/presse.php?view=00015610
3) https://www.leverkusen.com/db/presse.php?view=00015611
4) https://www.leverkusen.com/db/presse.php?view=00015608
5) https://www.leverkusen.com/db/presse.php?view=00015610

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