Sprengstoff AG Carbonit

Bald nach seiner Gründung im Jahr 1886 kam das auf der Schlebuscher Heide gelegene Sprengstoffwerk in den Besitz der Hamburger Carbonit AG, die für ihren Direktor um 1895 eine aufwändige Villa am Eingang zum ausgedehnten Werksgelände errichten ließ.

Eine mit der Schlebuscher Straßenbahn kombinierte Werksbahn versorgte seit 1906 den Betrieb, der zu Friedenszeiten vor allem Sicherheitssprengstoff für den Berg- und Tunnelbau herstellte.

Im Ersten Weltkrieg stark ausgebaut, wurde das vom Dynamit-Nobel-Konzern übernommene und demilitarisierte Unternehmen 1926 geschlossen. Ab 1936 entstand auf dem planierten Gelände die Waldsiedlung. Die Direktorenvilla wurde als Hotel genutzt und beherbergt heute ein Brauhaus.

Geschichte

Im Jahre 1887 wurde die Sprengstoffabrik Schmidt & Bichel auf der „Schlebuscher Heide“ gegründet. 1890 gehörte das Unternehmen der Sprengstoff-AG „Carbonit“ in Hamburg, die über ein weiteres Werk in Kiel verfügte.

Die Gefährlichkeit der Arbeit zeigt sich darin, dass es in Schlebusch bereits 1888 in einer „Patronenbude“ zu einem Unfall mit drei Toten kam. 1891 löste ein Gewitter zwei Explosionen aus, bei dem vier Arbeiter ums Leben kamen.

Die „Patronenhütten“ zur Abfüllung von Munition waren wegen der Explosionsgefahr mit Erdwällen umgeben, Quelle: Carbonit 1902

Bis 1904 wurde hier Sicherheitssprengstoff für den Bergbau hergestellt, ab 1904 dann die Produktion von Trinitrotoluol (TNT) aufgenommen, der später auch als Standardsprengstoff von Bomben zur Verwendung kam.

Hatte 1895 die Zahl der Mitarbeiter noch ca. 50 betragen, so wuchs sie in Friedenszeiten bis 1914 auf 490 an; die Firma war damit der größte Arbeitgeber in Schlebusch. Sie verfügte über eine Werkskleinbahn, die zugleich von 1903 bis 1922 als Straßenbahn den damaligen Bahnhof Schlebusch (heute Lev.-Manfort) mit dem  Werksgelände verband. Als Straßenbahn im Personenverkehr befuhr sie zudem die Schlebuscher Hauptstraße nach Norden bis zum Binnersten Hof.

Seit dem Beginn des Ersten Weltkriegs wurde die Produktion massiv ausgebaut; unter der Führung der Dynamit Nobel AG, die bereits vor 1914 bei dem Unternehmen eingestiegen war, stieg die Arbeiterzahl bis 1918 auf gut 4000 Personen.

Carbonia Beamtencasino
Innerhalb des Geländes waren Werkstätten und Labors entlang einer Werksstraße aufgereiht, Quelle: Carbonit 1902 

In etwa 300 Gebäuden produzierten sie unter anderem Fliegerbomben (sog. „Carbonit-Bomben“) in vier Standardgrößen. Nach Kriegsende stellte man die Produktion auf Kunstharzlacke um, darunter Öllack, Rostschutzfarbe, Weißlack und Dekorationslacke. Mehrfach kam es auch nach 1919 zu Unglücken; eine Explosion im Jahre 1923 führte schließlich zur Einstellung der Produktion. 

1926 übernahm die Dynamit Nobel AG das Unternehmen vollständig, schloss den Standort und verkaufte das Gelände an eine Berliner Baugesellschaft. Diese begann 1934 auf dem abgeräumten und eingeebneten Gelände mit dem Bau der „Waldsiedlung Schlebusch“, die in den 1950er Jahren über 600 Wohnhäuser umfasste.

Die ehemalige Direktorenvilla wurde als Gasthof („Hotel Kürten“) genutzt. Nach dessen Umzug in die gegenüberliegende Ingenieursvilla wurde das Gebäude  von der Kölner Dombrauerei erworben, als Brauhaus neu ausgestattet und verpachtet. Spätestens dann wurde das gesamte Erdgeschoss fast vollständig zu einem nun ungeteilten Raum geöffnet.  Wetterschäden erzwangen eine teilweise Restaurierung der Westfassade und des Erkers, wobei ein Teil der Klinker sowie des Holzwerks erneuert wurde.

Das erheblich schlichter ausgeführte Wohnhaus für den Technischen Leiter an der gegenüberliegenden Straßenecke ist zwar im Kern ebenfalls erhalten, heute aber durch Um- und Erweiterungsbauten kaum mehr erkennbar.

Eine dreischiffige Halle in Stahlkonstruktion wurde 1927 nach Bergisch Gladbach-Schildgen versetzt und dort zur Notkirche ausgebaut. Heute dient sie als Gemeindesaal.

Um 1990 wurden umfangreiche Altlasten im Boden der Waldsiedlung festgestellt. Vom Verzehr des hier angebauten Gemüses und Obsts wurde danach abgeraten.  

Die Werksanlagen der Carbonit AG erstreckten sich auch Sicherheitsgründen über eine weite Fläche der „Schlebuscher Heide“ östlich der Mülheimer Straße im Bereich der heutigen Waldsiedlung. Der Werkseingang lag an der Einmündung der heutigen Saarstraße, wo sich mit der Direktorenvilla das einzige vor Ort weitgehend unveränderte Gebäude des Werks erhalten hat. 

Das auf etwa quadratischem Grundriss errichtete, zweigeschossige Gebäude weist ein über einem Drempel weit auskragendes Walmdach mit kurzem First in Nord-Süd-Richtung auf. West- und Südfassade werden durch einen diagonal vorgesetzten, erkerartigen Vorbau mit Eingangstür und laubenartigem Obergeschoss verbunden und sind beide zueinander fast und in sich vollständig symmetrisch mit leicht vorspringendem Mittelteil gestaltet.

Direktorenvilla. Foto: Willy Borgfeldt, 2021

Den beiden mittleren Fensterachsen der Westseite entspricht auf der Südseite eine breite Mittelachse; die weit vorkragenden Schwebegiebel der Mittelteile sind im Westen mit Schopfwalm, im Süden ohne gestaltet. An der Ostseite ist der vier Fensterachsen breite linke Teil der Fassade stark nach vorne gezogen und wird von einem mächtigen, durch einen halbrunden Schwebegiebel mit Schopfwalm überspannt. Die Nordseite ist dagegen fast ungestaltet und wird dominiert von einem aus drei hohen, dicht nebeneinander liegenden Fenstern bestehenden, unter die Dachtraufe gerückten Treppenhausvorbau.

Das nur wenig über Straßenniveau erhöhte Erdgeschoss ist mit Blendklinkern verkleidet; die unterschiedlich breiten Fenster werden von breiten Klinkergewänden gerahmt und sind korbbogig geschlossen. Nach Süden ist heute ein weit vorspringender und segmentförmig abschließender, nach 1902 entstandener Ausbau vorgesetzt, der in einer Reihe schmaler, bogenförmig endender Fenster geöffnet ist.

Ein Gesims auf Kämpferhöhe bindet Fenster und Wandflächen zusammen. Obergeschoss und Drempel sind mit vorgeblendetem, ornamentalem Fachwerk verkleidet, dessen Füllungen aus Klinkerköpfen bestehen. Auf Höhe des Drempels ist der auskragende, geringer geneigte Dachüberstand mit diagonalen Balken abgestützt, ähnlich wie die Schwebegiebel, deren eingezogene Auskleidung auf zusätzlichen, doppelten Stützen ruht. An der Ostseite war dem Erdgeschoss ein Vorbau in Art eines Wintergartens mit eigenem Zugang vorgesetzt, der heute durch den Küchenanbau der Gaststätte weitgehend ersetzt ist.

Das Holzwerk war bis in die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts dunkel gestrichen, ebenso die Fenster und die Wintergärten. Heute sind Fenster und Fachwerk weiß. Die Klinkerflächen sind altrosa gestrichen, bis auf die mit gelben Klinkern erneuerten Teile. Das Dach ist mit roten Tondachziegeln gedeckt.

Nach Umbauten sind die Wohn- und Arbeitsräume im Erdgeschoss nicht mehr erkennbar. Nur das abgeschlossene Treppenhaus mit aufwendigem Geländer ist überliefert. Im Obergeschoss ist die Raumaufteilung der privaten Räume noch erhalten.  

Die beiden den Zugang zu dem umfangreichen Werksgelände flankierenden Villen bildeten das nach Außen sichtbare Bild der Fabrik. Wohl mit der Übernahme durch die Carbonit AG in Hamburg benötigte man ein repräsentatives Wohngebäude für den Direktor, das gleichzeitig für den Empfang von Kunden und leitenden Mitarbeitern aus der Firmenzentrale in Hamburg geeignet war.

Das eigentliche Verwaltungsgebäude befand sich im hinteren Bereich des Geländes, wo eine Reihe von ein- und zweigeschossigen Backsteinbauten entlang einer Werksstraße angeordnet waren. Die Direktorenvilla passt sich den Landhäusern verschiedener Unternehmerfamilien zwischen Schlebusch und Dünnwald an.     

Alexander Kierdorf

Ort:

Saarstraße 1 / Ecke Mülheimer Str. (Direktion)
51375 Leverkusen

Literatur und Quellen

  • Sprengstoff AG Carbonit, Hamburg, Schlebusch, den Besuchern der Düsseldorfer Ausstellung 1902 gewidmet
  • Sprengstoff AG Carbonit Hamburg (Histor.-Biogr. Bll. der Stadt Hamburg), Bd. 7, H. 4, 1905/06, Berlin (Eckstein)
  • Martin, Geschichtliche Entwicklung der Kartellbildung in der deutschen Sprengstoff-Industrie, Heidelberg 1909
  • Dynamit Actien-Gesellschaft, vormals Alfred Nobel; 1865-1925, Hamburg 1925
  • Barg, Bernhard: Die Explosivstoffindustrie (Diss), München 1928
  • Trimborn, Friedrich: Explosivstoffabriken in Deutschland, (2)2002
  • John, Gabriele (hg.): Leverkusen – Geschichte einer Stadt am Strom, Erfurt 2005
  • Kruse-Klemusch, Helga: Schlebusch in alten Fotografien: Sand bis Dünnwalder Busch, Erfurt 2015
  • Junkers, Günter: Brisante Sprengstoffe aus Leverkusen, in: Niederwupper 28, 2017, S. 133-140
  • Soénius, Ulrich S. (hg.): Leverkusener Wirtschaftsgeschichte, Neustadt an der Aisch 2018, S. 111-112, 146, 161-162 (Waldsiedlung)