Dynamit Nobel Sprengstofffabrik

Das Werk Schlebusch war einer der ersten Betriebe, die nach 1870 den neuen Sicherheitssprengstoff Dynamit des Schweden Alfred Nobel produzierten.

Die Fabrik in Schlebusch entstand 1871 und firmierte unter dem Namen Kayser & Edelmann. 1884 übernahm der von Alfred Nobel geführte Konzern das Werk. Zunächst vor allem für Berg- und Tunnelbau verwendet, kam dem Dynamit im Ersten Weltkrieg auch zentrale militärische Bedeutung zu, und das Werk wurde Teil einer ausgedehnten Munitionsindustrie im Raum Leverkusen mit tausenden von Beschäftigten.

Allein im Werk Manfort arbeiteten im Krieg etwa 5000 Beschäftigte und 90 Zwangsarbeiter. 2004 wurde das Unternehmen Dynamit Nobel aufgelöst; heute werden auf dem Gelände Spezialchemikalien für die Pharmaindustrie produziert.

Geschichte

1865 gründete Alfred Nobel (1833-1896) in Krümmel bei Hamburg seine erste Dynamitfabrik in Deutschland, die zur Grundlage der bis 2004 existierenden Dynamit AG vorm. Alfred Nobel & Co wurde. In den folgenden Jahren nahmen auch andere Firmen die Herstellung von Dynamit auf, darunter die von dem (Köln-)Mülheimer Unternehmer Carl Wilhelm Kayser 1869 gegründete Firma Kayser & Edelmann. Deren erster Standort im Kunstfeld bei (Köln-)Dünnwald wurde 1870 durch eine Explosion zerstört. Die 1871 erfolgte Neugründung am heutigen Standort unterstützte Alfred Nobel bereits 1872 und leitete zeitweise vor Ort die Produktion. 1874 übernahm er das Unternehmen als zweiten Standort seiner Firma in Deutschland, Das Werk in Schlebusch lag nahe seiner damaligen Hauptabnehmer, der Bergwerke im Ruhrgebiet; gefährliche Transporte konnte so verringert werden. 

1877 wurde die Firma Nobel in die Aktiengesellschaft Dynamit AG vorm. Alfred Nobel & Cie (DAG) umgewandelt und wandte sich in der Folge auch der Herstellung von Munition und Sprengstoff für das Militär zu. Die DAG, deren Leitung 1886 von Nobel an Gustav Aufschläger (1853-1934) übergegangen war, expandierte in Deutschland und anderen europäischen Ländern durch Neugründungen, Übernahmen und Beteiligungen und wuchs bis 1918 zum größten europäischen Unternehmen. 

Bereits 1884 entstand mit maßgeblicher  Beteiligung der DAG das sogenannte „Pulverkartell“, das bis zum Ersten Weltkrieg die Branche prägte und danach in veränderter Form eine „Bereinigung“ des Sprengstoffmarktes und seine Demilitarisierung organisierte. Die anderen zwischen 1850 und 1890 entstandenen Explosivstofffabriken im heutigen Leverkusener Stadtgebiet (Rheinische Dynamitfabrik, Opladen (1872); Rheinische Sprengkapsel- und Zündhütchenfabrik, Bürrig (1876); Griesheim, Küppersteg; Carbonit, Schlebusch) wurden in diesem Zusammenhang aufgelöst.

Das Werk der Dynamit AG im heutigen Leverkusen-Manfort firmierte unter dem Namen Schlebusch, hauptsächlich wegen des benachbarten Bahnhofs Schlebusch der Rheinischen Eisenbahngesellschaft, der heute Manfort heißt. (Link) Das 100 Morgen große Werksgelände lag in einem Wald- und Heidegebiet in ausreichendem Abstand von benachbarten Siedlungen, jedoch verkehrsgünstig nahe zweier Eisenbahnstrecken (Werksanschluss 1888) und der Düsseldorfer Chaussee.

Topographische Karte von Schlebusch und Manfort 1929. Quelle: Kartasteramt der Stadt Leverkusen

Zum Zeitpunkt der Werksübernahme durch Nobel 1874 waren dort 46 Personen beschäftigt, darunter 24 „Patronenarbeiterinnen“. Anfang der 1880er Jahre gehörten zu den Produkten Kollodiumwolle, Nitroglycerin, Spreng- und Dynamitgelatine. Die Jahresproduktion von Dynamit steigerte sich zwischen 1884 und 1910 von 2.000 auf 15.000 t; bei Kriegsausbruch waren knapp 450 Personen beschäftigt. Ihre Zahl stieg während des Krieges sprunghaft auf mehr als das Zehnfache an. Es kam in der Folge zu einer engen Zusammenarbeit und Arbeitsteilung mit der Carbonit AG und der Firma EUMUCO. Bei EUMUCO wurden die metallenen Hülsen für Munition jeglicher Größe hergestellt. Auch Kriegsgefangene wurden in größerer Zahl eingesetzt. Ein großmaßstäbliches Neubauprogramm zielte vor allem auf die Herstellung von chemischen Ausgangsstoffen. Die Endfertigung der Munition erfolgte weiterhin in ausgedehnten Arealen mit von Schutzwällen umgebenen „Buden“.

Innerhalb weniger Jahrzehnte hatte sich die rheinische Sprengstoffindustrie zur bedeutendsten im Reich entwickelt. Grundlage dafür waren die Nähe zu wichtigen Bergbaugebieten einerseits, die verkehrsgünstige Lage an den Nord-Süd-Verbindungen andererseits. Auf die heutige Stadt Leverkusen alleine entfiel 1913 ein Drittel der deutschen Sprengstofferzeugung. Dies musste nach dem Ersten Weltkrieg, der zu einer kurzfristigen Ausweitung und „Militarisierung“ der Produktion geführt hatte, zu einer massiven wirtschaftlichen Umstrukturierung und teilweisem Rückbau führe. Die Rheinlandbesatzung, von der Leverkusen als Teil des Kölner rechtsrheinischen Brückenkopfs betroffen war, und die Auflagen des Versailler Vertrages verstärkten diesen Prozess, den als einziges Unternehmen die Dynamit AG Schlebusch überlebte. Neben ihrem klassischen Einsatzgebiet, dem Berg- und Tunnelbau, wurden alle nur denkbaren weiteren Anwendungsgebiete für die erzeugten Grundstoffe erschlossen, darunter Zelluloid für die Filmherstellung, die Produktion von Lacken und Farben, aber auch Kunstfasern.

Die Aktienmehrheit der Dynamit AG kam danach zum IG-Farben-Konzern, das Unternehmen konnte aber weitgehend selbständig agieren. Die Weltwirtschaftskrise führte 1929-1932 nochmals zu einer Halbierung der Mitarbeiterschaft auf gut 300 Köpfe. Die Wiederaufrüstung brachte hier den Umschwung, der im Zweiten Weltkrieg erneut zu einer Ausdehnung des Betriebs führte. Die vorhandenen Produktionskapazitäten und die günstige Lage ermöglichten dem Betrieb auch in der Nachkriegszeit, ein Drittel der deutschen Sprengstoffherstellung abzudecken. Dies änderte sich unter anderem mit dem allgemeinen Rückgang einerseits, der Einführung anderer Abbauverfahren im Berg- und Tunnelbau andererseits. So führte 1999 eine Entscheidung der Ruhrkohle AG zum Wechsel des Sprengstofflieferanten zur Schließung des damals ältesten Betriebs der Deutschen Sprengstoffindustrie, dessen Jahresproduktion zuletzt bei 1900 t Dynamit gelegen hatte. Mit den verbliebenen knapp 300 Beschäftigten wurde nun allein der Bereich der Spezialchemikalien-Produktion als Dynamit Nobel GmbH Explosivstoff und Systemtechnik DNES weitergeführt, der nach Auflösung der Dynamit AG 2004 an das französische Unternehmen NOVASEP überging. Diese ist auf Chemikalien für die Medikamentenherstellung spezialisiert.

Entscheidend für die Ansiedlung der Sprengstoffindustrie im Raum Leverkusen war neben der schon erwähnten Lage an wichtigen Verkehrsachsen die Verfügbarkeit von preiswerten, unbewohnten Flächen. Die Heidegebiete der Mittelterrasse am rechten Rheinufer erfüllten diese Bedingungen in besonderem Maße. Sie eigneten sich wenig für landwirtschaftliche Zwecke und waren deshalb kaum besiedelt. Die geringe Humusdecke über einer dicken, aus Ablagerungen des Rheins gebildeten Lehm- und Kiesschicht ermöglichte zudem die leichte Anlage der gesetzlich vorgeschriebenen Schutzwälle. Das von der Dynamit AG eingenommene Gebiet der Wiesdorfer Heide war nur für den Lehm- und Kiesabbau genutzt worden. Fatalerweise boten sich die Kiesgruben als Deponien für Produktionsabfälle der Chemieindustrie an.

Zum Komplex des Werks Schlebusch der Dynamit AG gehört das ausgedehnte Produktionsareal, das über einen Zugangsbereich an der östlichen Seite, am Südende des Kalkwegs, erschlossen wird. Hier befand sich auch die heute aufgrund der Abstandsbestimmungen für Sprengstoff- und Chemiebetriebe vollständig verschwundene Werkssiedlung der Dynamit AG mit zahlreichen Beamten- und Arbeiterhäusern sowie Direktorenvillen. 

Über  historische Gebäude innerhalb des Werksareals liegen keine Erkenntnisse vor. Von besonderem Interesse sind die während des Ersten Weltkriegs erstellten massiven Produktionsgebäude, von denen eines 1984 trotz Erhaltungsbemühungen abgebrochen wurde. 

In den 1950er und 1960er Jahren entstanden innerhalb des Werks auch neue Sozialgebäude in zeittypischen Formen.

Sozialbauten der 1950er Jahre. Quelle: Stadtarchiv Leverkusen

Als einziges repräsentatives Gebäude am Werkseingang hat sich ein Verwaltungsgebäude der Zeit um 1914 erhalten. Es bildet mit einem historischen Pförtnergebäude sowie einer kleinen Parkanlage mit der Büste Alfred Nobels ein Ensemble.

Das Verwaltungsgebäude an der Werkspforte, ein querliegender, eingeschossiger Baukörper auf hohem, glattem Backsteinsockel mit Mansarddach – steht mit seiner östlichen Schmalseite zum Vorplatz. Am gegenüberliegenden Ende besitzt der Bau einen schmalen Seitenflügel, wodurch insgesamt ein winkelförmiger Grundriss entsteht. Die schlichte Fassade ist verputzt; Kanten, Sockel und Abschluss sind mit Streifen von Sichtbackstein betont; in die Putzflächen sind jeweils große, hochrechteckige Fenster eingelassen. Die Hauptfassade nach Norden ist neun in Haupt- und Dachgeschoss vorhandenen Fensterachsen breit; die drei mittleren bilden einen leicht vorspringenden, vor das Mansarddach gestellten zweigeschossigen Risalit mit in Backstein angedeuteter Pilastergliederung und flachem Dreiecksgiebel. An der östlichen Schmalseite zum Vorplatz befindet sich ein durch abgetrepptes Backsteingewände mit dünner Abdeckplatte gerahmtes, nur um vier Stufen erhöhtes Portal, begleitet von zwei großen, dreigeteilten Fenstern. 

Auf der oberen Wandfläche der Schmalseite nach Osten ist auf fast ganzer Hausbreite in Metalllettern der seit 1959 gültige Firmenname „Dynamit Nobel AG“ mit dem kleiner in zwei Zeilen ergänzten “Werk Schlebusch“ angebracht. 7

Abgesetzt vom Verwaltungsgebäude befindet das in gleicher Formensprache gehaltene, eingeschossige Pförtnerhaus. Zwischen Veraltung und Pförtner lag der historische Werkseingang, der später auf die Nordseite des Pförtners verlegt wurde.

Internet
https://de.wikipedia.org/wiki/Dynamit_Nobel

https://www.novasep.com/company/our-locations-worldwide.html#Leverkusen

Alexander Kierdorf

Ortsinformation:

Kalkstraße 218
51377 Leverkusen (Manfort)

Literatur und Quellen