Für die leitenden Angestellten und „Fabrikbeamten“ der Mineralölwerke Rhenania wurde noch während des Ersten Weltkrieges zwischen Fabrik und der Stadt Monheim eine Werkssiedlung errichtet, die aus Villen, Doppel- und Reihenhäusern rund um ein Kasino besteht.
Der Düsseldorfer Architekt Walter Furthmann gestaltete die Bauten in einem zeittypischen, repräsentativen Stil zwischen Neoklassizismus und Neorenaissance.
Das Gasthaus diente nicht nur als gesellschaftlicher Mittelpunkt des Betriebs, sondern auch als Hotel für Kunden und Gäste des Unternehmens und nicht zuletzt als Unterkunft für unverheiratete Angestellte. Die Straße wurde benannt nach dem ersten Direktor des Unternehmens Heinrich Späth.
Geschichte
Die Siedlung „Heinrich-Späth-Straße“ entstand im Zusammenhang mit der Niederlassung der Rhenania-Werke in Monheim für Angestellte der Firma. Die „Mineralölwerke Rhenania“ hatten zu Beginn des Jahres 1913 ein umfangreiches Grundstück am Rhein zwischen Monheimer Kapelle und Baumberger Kreuz erworben. Am 15.7.1913 gab der Gemeinderat nach vorheriger Offenlegung seine Zustimmung zur Konzessionierung der Mineralölwerke und deren Errichtung auf Monheimer Gebiet.
Das Unternehmen war 1902 unter Beteiligung der „Königlich Niederländischen Petroleum Gesellschaft“ (Royal Dutch) und der Firma van Ommeren, Rotterdam gegründet worden und hatte seinen Sitz in Düsseldorf-Reisholz, später seine Hauptverwaltung im Hansa-Haus. Es war die erste Niederlassung eines Firmenkomplexes, für den sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Bezeichnung „Deutsche-Shell-AG“ (DSAG) einbürgerte. Initiator der Verbindung und erster Direktor der Gesellschaft war Heinrich Späth, der den Ausbau neuer Werke in ganz Deutschland vorantrieb und auch den Bau des Monheimer Werkes plante und förderte.
Während in den Reisholzer Anlagen vor allem Rohbenzine aus Niederländisch-Indien zu Brennstoffen und Spezialbenzinen (z.B. für die Gummi- und Textilindustrie) verarbeitet wurden, war man in Monheim – seit Betriebsbeginn 1915 – zunächst ausschließlich für die Herstellung von Schmierstoffen aller Art zuständig. Es wurden hier neue Verfahren der Schmierölverarbeitung entwickelt, die in der Folgezeit überall Verbreitung fanden. Die Nähe zum Rhein garantierte den Bau umfangreicher Kaianlagen für die Anlieferung und den Transport.
Siedlung
Mit dem Ausbau des Werkes wurde im Süden anschließend die Wohnsiedlung errichtet. Nicht das Unternehmen selbst, sondern der Wohnbauverein Monheim trat als Bauherr in Erscheinung, dessen Verwaltung sich ebenfalls im Düsseldorfer Hansa-Haus befand und zu dessen Gesellschaftern neben den Rhenania-Werken unter anderem auch der Bürgermeister von Monheim zählte. Die zur Kolonie gehörende Badeanstalt, das Ledigenwohnheim mit Casino und Konsumanstalt waren an das Werk vermietet. Die Pläne für die Siedlung stammen vom Düsseldorfer Architekten Walter Furthmann, der in der Folgezeit z.B. die Entwürfe für das Verwaltungsgebäude der Henkel-Werke lieferte.
Zügig wurden im Jahr 1916 fast alle Bauten der Siedlung fertiggestellt (nur Heinrich-Späth-Straße 21/23 und 20/22 entstanden 1923). Zu Zeiten des Ersten Weltkrieges war das eine Besonderheit, da alle zum Bau notwendigen Materialien der Bewirtschaftung unterlagen. Selbst so kriegswichtige Unternehmen wie z.B. Krupp oder Thyssen mussten ihre Wohnbautätigkeit auf ein Mindestmaß reduzieren.
Sicher gestattete die Bindung an die holländische Muttergesellschaft (die Niederlande blieben während des Ersten Weltkrieges neutrales Gebiet), dass in Monheim eine solide gebaute Wohnsiedlung mit für diese Zeit luxuriösem Raumprogramm gebaut werden konnte. Fast gleichzeitig mit den Wohnhäusern war hinter dem Direktorenwohnhaus ein Tennisplatz geplant worden, dessen Ausbau 1927 mit der Errichtung eines Gartenhäuschens beendet war. 1957 wurde ein aus dem Werk an die Siedlung verlegter Sportplatz fertiggestellt.
Die Kosten der Erschließung trug zunächst die Baugesellschaft, die Straßen sollten nach Fertigstellung in den Besitz der Gemeinde übergehen, die Kosten für Straßenbeleuchtung und Kanalisation geteilt werden. Darüber kam es 1920 zu m Streit zwischen Unternehmen und Gemeinde.
Ein den Bauanträgen beigefügter Geschäftsbericht über das Jahr 1919 besagt, dass neben dem Direktorenwohnhaus 32 Wohnungen gebaut worden waren. Davon bewohnten 21 Wohnungen Angestellte und Arbeiter der Rhenania-Werke. In den übrigen Wohnungen lebten Beamte der Gemeinde Monheim, Angestellte der rheinischen Spritwerke und ehemalige Rhenania-Bedienstete, die keine Wohnung finden konnten. Ebenso waren alle 21 Zimmer des Ledigenwohnheimes belegt.
Bis 1967 blieb die enge Bindung an das Werk bestehen, dann wurden Ledigenwohnheim mit Schulungsräumen und Casino geschlossen und Anfang der siebziger Jahre an ein fremdes Unternehmen verkauft. Die Wohnhäuser der Siedlung sind heute privatisiert.
Beschreibung
Zur Siedlung gehören die Häuser
- Heinrich-Späth-Straße 7-23 und 6-24,
- sowie Krischer Straße 71-75 und 70-74.
Das rechteckige, von Süd-West nach Nord-Ost verlaufende Grundstück der Siedlung liegt im Süden der Werksanlagen und wurde ehemals durch die entlang der Krischer Straße verlaufende Werksbahn geteilt. Beidseitig legte man in leichter Verschiebung rechtwinklig auftreffende Straßen an ( Heinrich-Späth-Straße). An der Kreuzung mit der Krischer Straße einstand eine platzartige Aufweitung. Trotz der Trennung zwischen den beiden Teilen der Heinrich-Späth-Straße entstand eine in sich geschlossene Wohnkolonie, unterstützt durch die noch überwiegend originalen Vorgarteneinfriedungen mit Mauern und Hecken. Von der ursprünglich integrierten Straßenbeleuchtung blieben drei Laternen, bestehend aus Pfeiler mit vierseitiger, konisch sich verjüngender Glaslaterne erhalten.
Die Krischer Straße stellt eine hierarchische Achse dar, von der aus auf der südwestlichen Seite
das Direktorenwohnhaus (Heinrich-Späth-Straße 5) und die Reihenhäuser für höhere Beamte (Heinrich-Späth-Straße 7-15 und Krischer Straße 71-75, Typ B1) angesiedelt wurden.
Eine tiefe, sich an der Heinrich-Späth-Straße entlang ziehende Grünfläche vor dem Direktorenwohnhaus liegt dem versetzt einmündenden Teil der Straße direkt gegenüber, so dass das Gebäude den Abschluss der Sichtachse von Nordwesten aus bildet.
Im zweiten, nordöstlichen Siedlungsteil wurden Ledigenwohnheim mit Konsum und Casino, an das über einen Torbau die heute veränderte und umgenutzte Badeanstalt anschließt, ein langgestrecktes Reihenhaus für mittlere Beamte und weitere Einzelgebäude für den gleichen Personenkreis errichtet:
- Krischer Straße 74,
- Heinrich-Späth-Straße 9-17,
- Typ F + F1, Heinrich-Späth-Straße 19,
- Typ F, das Vierfamilien-Vierzimmerhaus
- Typ C + C1, Heinrich-Späth-Straße 18
- und die beiden erst 1923 errichteten Wohnhäuser Heinrich-Späth-Straße 21/23 und 20/22
Die Bauausführung war gemessen an den Notzeiten des Ersten Weltkrieges sehr aufwendig und solide. Über einem Fundament aus Stampfbeton erhoben sich die Außenwände aus Ziegelmauerwerk, mit Edelputz versehen, von dem sich die ehemals vorhandenen, grünen Fensterläden wirkungsvoll abhoben.
Gliedernde, schmückende Architekturteile waren aus Muschelkalkstein-Imitation hergestellt. Alle Zwischendecken bestanden aus Eisenbeton (eine absolute Rarität im Wohnungsbau der Zeit). Die durchweg zweigeschossigen Bauten sind mit hochaufragenden Sattel-, Walm- oder Mansarddächern gedeckt und teilweise durch ihre Wirtschaftsanbauten miteinander verbunden.
Die variationsreiche Dachlandschaft wird durch Gauben und Dachhäuser bereichert, besonders der Muschelaufsatz und die Volutenenden des Giebels der Badeanstalt bilden einen städtebaulichen Akzent an der sich hier platzartig erweiternden Straße. Erker, Balkone, Ausluchten erweitern die Baukörper, Ovalfenster, rundbogige Zwillings- und Drillingsfenster mit teilweise originaler Vergitterung sind als Ergänzung zu den sonst rechteckigen Öffnungen weitere, schmückende Details.
Die Geschoßhöhen wurden an den Außenfronten durch die profilierten Sohlbankgesimse der Obergeschoßfenster verschliffen. Die Eingänge sind meist rundbogig, liegen in gestuften Gewänden, haben oft verzierte Oberlichter (Sprossen, Laternen) oder betonte Keilsteine. Die Bauten sind mit Ausnahme der Anbauten voll unterkellert.
Das Raumprogramm der Wohnhäuser war großzügig bemessen, nicht nur im Direktorenhaus und für die höheren Beamten. Für mittlere Beamte standen neben dem Wohnzimmer 3 Schlafzimmer, Küche, Stallraum, Speisekammer zur Verfügung, jedoch kein Bad sondern nur ein WC im Wohnungsverbund. Die Küche war für sie in einigen Fällen in Spül- und Wohnküche geteilt.
Auch die Ausstattung des Junggesellenheimes war reichhaltig. Im Keller befanden sich Lagerräume für die Konsumanstalt, Kegelbahn, Kühl- und Bierkeller. Im Erdgeschoß des erweiterten, zweiflügeligen Baues befand sich von der Heinrich-Späth-Straße ausgehend die Konsumanstalt mit rundbogigen Schaufenstern, anschließend eine Wirtswohnung mit Zimmer, Küche, WC und separatem Eingang.
Ebenfalls über eigenen Eingang folgen Halle, Treppenhaus und Anrichte, an das an der Krischer Straße die miteinander verbundenen Räume von Billardzimmer, zwei Speisezimmern und Lesezimmer anschließen, sich durch große, rundbogige Fenstertüren zur vorgelagerten Terrasse öffnend. Im rechtwinklig vorgezogenen Trakt, der zugleich die Terrasse einseitig abschließt, liegen hinter einem weiteren Eingang Treppenhaus, Halle, ein separates Lesezimmer, Sanitärräume und zwei Zimmer für die Wirtschafterin.
Im ersten Obergeschoß lagen die Wohn-Schlafzimmer teilweise mit kleinen Fluren, dazu Wasch- und Putzräume. In zwei Fällen besaßen je zwei Schlafzimmer einen gemeinsamen Wohnraum, dazu gab es drei Appartements, bestehend aus Wohn- und Schlafraum. Im Dachgeschoß lagen außer den Wasch- und Putzräumen nur einfache Einzelzimmer.
In dem anschließenden Gebäude der Badeanstalt in der Heinrich-Späth-Straße gab es über dem Heizungskeller im Erdgeschoß des traufständigen Vorderhauses Wohnküche und Zimmer des Badewartes und einen Frisiersalon, im rückwärtigen Anbau neben einem Warteraum die von einem Flur aus zugänglichen Räume der Brause- und Wannenbäder. Im Obergeschoß des Haupthauses befanden sich zwei weitere Räume.
Als letztes ist das Haus des Landjägers neben dem Junggesellenheim an der Krischer Straße zu erwähnen, mit Kochküche, Wohnküche, Zimmer, Stall und Speisekammer im EG und drei Räumen mit WC im Obergeschoß.
Würdigung
Zur Planung der Siedlung verpflichtete der Wohnungsbauverein einen bekannten Düsseldorfer Architekten, der eine beispielhafte Anlage schuf, die der Versorgung eilig herbeigerufener, qualifizierter Mitarbeiter allseitig gerecht werden konnte.
Im dort realisierten Wohnhausprogramm spiegelt sich auf engstem Raum die Werkshierarchie, mit dem Wohnsitz des Direktors in besonders exponierter Lage, flankiert von den ebenfalls großzügig bemessenen Reihenhäusern der höheren Beamten. Jenseits der alten Werksbahn dann ausreichende Unterkunftsmöglichkeiten für Unverheiratete, Besucher und nur kurzzeitig Beschäftigte sowie Wohnungen und Reihenhäuser für mittlere Angestellte.
Dazu gehören weiterhin Einrichtungen der Versorgung (Konsum, Badeanstalt) und der Kommunikation (Casino, Sportanlagen). Im Vergleich ergeben vor allem die Wohnbauten der Siedlung ein anschauliches Bild der gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Gründungsphase im Rahmen der speziellen Werkszugehörigkeit (z.B. die Einrichtung von Wohn-, Ess- und Herrenzimmern sowie Bädern im Wohnungsverbund auf der Direktionsseite gegenüber Wohnungen mit Stallräumen, Spülküchen und ausschließlich WC’s auf der Mannschaftsseite). Diese Anschaulichkeit wird ergänzt durch die zeit- und statusgemäßen Angebote des gesellschaftlichen Miteinanders und der sportlichen Betätigung.
Ihren Eigenwert erhält die Siedlung durch die architektonisch qualitätvolle Gestaltung von Einzelbau und Siedlungsgrundriss. Im zu Beginn des Jahrhunderts unbebauten Gelände war sie als in sich geschlossene Anlage weithin sichtbar. Die unterschiedlichen Bauaufgaben und Funktionen innerhalb der Kolonie fanden die ihnen gemäße architektonische Lösung in Bezug auf das Siedlungsganze (z.B. die Gestaltung des Junggesellenheimes mit seinen gereihten Fenstertüren im EG, der Einbeziehung der davorliegenden Terrasse in die Wohnumfeldgestaltung, die exponierte Lage des Direktorenhauses, die Sonderstellung der Badeanstalt). In Verbindung mit den wechselnden Baufluchten und der variierten Straßenbreite entstehen unterschiedliche und sich doch zu einem Ganzen verbindende Straßenbilder.
Eine technische Besonderheit stellen die durchweg zur Anwendung gekommenen Zwischendecken aus Eisenbeton dar, die in Repräsentationsbauten zwar schon anzutreffen, im Wohnungsbau der Zeit des Ersten Weltkrieges nicht üblich waren, mit Ausnahme der Kellerdecken. Unter den gegebenen Umständen haben sie sicher einen beträchtlichen Teil der Baukosten beansprucht. Vor- und Nachkriegszeit mit der dazwischenliegenden daniederliegenden Bautätigkeit werden durch die Siedlung Heinrich-Späth-Straße traditionell verbunden und verleihen ihr ihre eminente architekturgeschichtliche Bedeutung.
Barbara Fischer
Ort:
Heinrich-Späth-Straße
40789 Monheim am Rhein
Literatur
- Hinrichs, Fritz: Monheim in wirtschafts- und verwaltungsgeschichtlicher Sicht, Monheim 1962
- Flieger, Heinz.: Unter der gelben Muschel. Die Geschichte der deutschen Shell, Düsseldorf 1961
- Schürmann, Sonja: Düsseldorf, eine moderne Landeshauptstadt mit 700jähriger Geschichte und Kultur, Köln 1988