Rheinische Krautfabrik Wirtz & Söhne

Inmitten von Fachwerkhäusern des idyllischen Bergisch Neukirchen liegt dieses eindrucksvolle Beispiel einer im Rheinland weit verbreiteten Branche. 1904 entstand der überlieferte stattliche Backsteinbau. Die Beschriftung im Schaugiebel zur Burscheider Straße reklamiert eine Sonderstellung des 1815 gegründeten Unternehmens: „Aelteste rheinische Apfelkraut-Fabrik“. 


Geschichte

Seit dem Mittelalter wird im Bergischen Land der Obstanbau betrieben, in der Regel in Form von Streuobstwiesen, die gleichzeitig als Weiden genutzt werden können. Im heutigen Leverkusener und Leichlinger Raum wurde seit dem späten 18. Jahrhundert dieser „Erwerbszweig“ besonders gefördert. Der Opladener Jurist Vinzenz Deycks gründete 1797 in der Ruhlach eine Obstbauschule, die vom 1819 eingerichteten Landkreis Solingen gefördert wurde. Noch 1920 richtete der nachfolgende Kreis Opladen eine neue „Landwirtschaftliche Winterschule“ ein.

Das von den Bauern überwiegend im Nebenerwerb erzeugte Obst wurde über Nacht auf die Märkte in Mülheim und Köln gebracht oder vor Ort konserviert durch Trocknen oder Einkochen. Die Verarbeitung zu Apfelkraut spielte dabei eine wichtige Rolle, denn so konnte ohne Zuckerzusatz mit Hilfe des natürlichen Fruchtzuckers das Lebensmittel haltbar gemacht werden. Es diente anschließend als Brotaufstrich, vor allem aber auch als Süßungsmittel.

Für das Landschaftsbild waren die Obstbäume und Streuobstwiesen charakteristisch. „Die Dörfer waren eingebettet in Obstbäume, die durch ihre Blüte das Frühjahr einläuteten“ (Willms 1929). Zwar bemühte man sich, einen großen Teil des Obstes – insbesondere des Kernobstes – durch Pflücken unbeschädigt zu ernten, aber die bis etwa 20 m hohen Bäume ließen dies nur mit großer Mühe und Gefahr zu. Ein großer Teil der Äpfel und Birnen wurde deshalb zu Fallobst, das sich weniger zur Lagerung als zur massenhaften Weiterverarbeitung zu Apfelsaft, Bränden und Apfelkraut eignete. Dies lohnte sich in der Regel nur in größeren Mengen, so dass im Laufe des 19. Jahrhunderts darauf spezialisierte Betriebe entstanden.

Auch die „Rheinische Apfelkrautfabrik Wirtz & Söhne“ führt sich bereits auf das Jahr 1815 zurück. In den ersten Jahrzehnten dürfte der Betrieb noch ausschließlich handwerklich gearbeitet haben; Johann Wirtz soll schon 1811 eine Presse entwickelt haben. „Wirtz & Söhne“ errichtete 1904 ein neues Produktionsgebäude mit stattlicher Schaufassade zur Burscheider Straße. Der Schornstein verweist auf die Existenz einer Dampfmaschine mit Kessel. Mit der Aufstellung einer Dampfmaschine konnten einzelne Arbeitsschritte mechanisiert werden

Das 1856 zur Stadt erhobene Bergisch Neukirchen erlebte in der zweiten Jahrhunderthälfte einen gewissen industriellen Aufschwung. Die Schraubenfabrik Tillmanns und die (spätere) Westdeutsche Eisenindustrie entstanden; seit 1881 berührte die als „Balkantrasse“ bekannte Bahnstrecke zwischen Opladen und Remscheid-Lennep die Stadt, an der 1902 auch ein Güterbahnhof angelegt wurde.

Vor der Stilllegung in den 1950er Jahren bot die Krautfabrik eine breite Palette von Marmeladen und Konfitüren bis hin zu Apfel- und Birnenkraut – allerdings überwiegend mit Kristallzucker gesüßt. Die Bauten der „Rheinische Apfelkrautfabrik“ wurden 1984 unter Denkmalschutz gestellt und in den 1990er Jahren renoviert und für Wohn- und Büronutzungen umgebaut.  

Das Fabrikgebäude liegt in der zweiten Baureihe hinter den an der vorbeiführenden Durchgangsstraße nach Burscheid gelegenen Vorderhäusern, wendet aber der Burscheider Straße einen breiten Schaugiebel zu, der mit seinen Aufschriften gleichzeitig als Werbefläche dient. Es ist ein langgestreckter Backsteinbau mit Satteldach. 

Entsprechend seiner exponierten Stellung ist der zur Burscheider Straße ausgerichtete, backsteinsichtige Giebel mit gelben Steinen gerahmt und in Form der Fensterstürze bereichert. Die gelben Steine bilden an den Schrägen eine Art breiten, gerahmten Fries , der an der Giebelspitze von einem Aufsatz bekrönt wird. Das Erdgeschoss weist vier hohe Fensterachsen auf (davon wird eine durch einen anschließenden Fachwerkbau verdeckt); darüber verläuft ein schwarz grundiertes Schriftband mit der Aufschrift „Aelteste rheinische Apfelkraut-Fabrik“.

Schrägansicht von Nordosten. Foto: Willy Borgfeldt, 2021

Das Obergeschoss mit zwei großen und zwei seitlichen kleineren, spitzbogig geschlossenen Fenstern reicht zur Hälfte bereits in den abschließend durch zwei kleine, rundbogige Fenster ausgefüllten Dreiecksgiebel, in dessen Zentrum sich ein weiteres, höheres Schriftband mit der Aufschrift „J.H. Wirtz Söhne“ befindet. Die weiße, grau hinterlegte lateinische Schrifttype entspricht mit ihren Reform- bzw. Jugendstilanklängen der Datierung des Giebels auf das Jahr 1904. Eine geschmiedete Wetterfahne aus Metall auf der Giebelspitze nennt dieses Datum.

An der eineinhalb Geschosse hohen Längsfront setzt sich die Betonung der Kanten und Stürze fort, die hier zwei Abschnitte von je drei Achsen bildet. Über dem Eingang in der Mitte des ersten Abschnitts befindet sich eine mächtige Ladeöffnung, die die Traufe mit einem gaubenartigen Aufsatz durchbricht. Im zweiten Abschnitt befindet sich eine weitere Tür. Nach Süden schließt danach ein Neubau für Wohnzwecke an.  

Nach Stilllegung und massiven Umbauten haben sich im Innern kaum historische Bauteile erhalten.    

Die Krautfabrik Wirtz ist ein wichtiges Dokument des ländlichen Gewerbes im Leverkusener Raum und einer regionaltypischen Branche, die sich aus bescheidenen Anfängen schrittweise ins industrielle Zeitalter entwickelte und bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts fortbestand. 

Alexander Kierdorf

Ort:

Burscheider Straße 106b
51381 Leverkusen (Bergisch Neukirchen)

Literatur und Quellen

  • Willms, Hugo (hg.): Geschichte der Stadt Bergisch Neukirchen, Köln 1929
  • Müller, Rolf: Upladhin – Opladen. Stadtchronik, Opladen 1974
  • John, Gabriele (hg.): Leverkusen – Geschichte einer Stadt am Rhein, Bielefeld 2005, S. 200/201, 238
  • Soenius, Ulrich S. (hg.): Leverkusener Wirtschaftsgeschichte, Neustadt an der Aisch 2018, S. 28, 97, 102/103 
  • Bartl, Alfred: Aus der Geschichte der „Bergischen Obstkammer“, in: Rheinisch-Bergischer Kalender Bd. 57 (1987), S. 175-183
  • Kamp, Michael: Äpfel, Birnen, „Kraut“ und Obstwasser – das LVR-Freilichtmuseum in Lindlar und die Obstbaukultur im Bergischen Land, in: Jahrbuch des Rhein-Sieg-Kreises, Jg. 34 (2019), S. 136-141