Bahnhof Pattscheid

Große, internationale Eisenbahngeschichte verbindet sich mit dem Namen „Balkan-Express“ für die Strecke Wien-Zagreb-Belgrad-Istanbul. In Analogie zur jeweiligen landschaftlichen Situation beanspruchten auf vier Strecken in Deutschland diesen Namen. Eine davon verband das Bergische Land mit der rheinischen Tiefebene bei Leverkusen-Opladen.

1876 war ein erstes Teilstück zwischen Remscheid-Lennep und Wermelskirchen eröffnet worden. Die durchgehende Verbindung von Opladen im Westen und Wipperfürth im Osten konnte erst 1881 befahren werden. Die Sekundär- oder Nebenbahn erhielt sogar 1908-10 einen zweigleisigen Ausbau.

Während sich der Güterverkehr beachtlich entwickelte blieb der Personentransport hinter den Erwartungen zurück. Nach Kriegszerstörungen wurde die Strecke nur noch teilweise wieder zweispurig hergestellt. Zwischen 1983 und 1994 wurde der Betrieb gänzlich eingestellt. Die Gleise und bahntypischen Anlagen wurden demontiert. 2013-15 entstand unter dem Namen Balkantrasse auf dem früheren Gleiskörper ein Wander- und Radweg.

Der Bahnhof Pattscheid stellt mit seiner Anlageart sowohl für die Strecke wie auch über die regionale Bedeutung hinaus eine Besonderheit dar. Ursprünglich gab es hier nur einen Haltepunkt. Auf Wunsch der Gemeinde Neukichen, dem späteren Bergisch Neukirchen zu der Pattscheid damals gehörte, entstand der Bahnhof 1902/03 als Güterumladestelle für den Verkehr von Waren und Rohstoffen.

Diese Verbindung von Straßen- und Schienentransport bestimmte den Mikrostandort des Bahnhofs, 800 Meter vom ehemaligen Haltepunkt entfernt, in Mittellage zwischen der hochgelegenen Landstraße Opladen-Burscheid und der weit unterhalb der Straße gelegenen Bahntrasse.

Traufseite und Westgiebel des Empfangsgebäudes zur Straße. Foto: Willy Borgfeldt, 2021

Zweigeschossige Bahnhofsanlage

Der Bahnhof lag also auf zwei Ebenen. Unten die durchgehenden Gleise und auf halber Höhe zwischen Gleisen und Straße das Empfangsgebäude mit Güterschuppen. Auch die Fuhrwerke und zunehmend die den Bahnhof anfahrenden LKWs mussten den Höhenunterschied zur Straße meistern.

Größer aber noch waren die Steigungsverhältnisse für die auch direkt zum Hausbahnsteig des Empfangsgebäudes fahrenden Züge. Von Opladen aus war auf 500m Länge eine Steigung von 1:43, auf der anderen Bahnhofsseite von 1:74 überwinden. Das brachte durchaus Probleme, wenn die Züge voll beladen oder wie in der Nachkriegszeit stark mit Fahrgästen belegt waren. Es wird davon berichtet, dass in einigen Fällen die Züge die Steigung erst im zweiten Anlauf schafften. 

Die Seilbahn

Der Bahnhof Pattscheid verfügte über eine zweite Besonderheit. Vom Bahnhof aus wurde nach dem zweigleisigen Ausbau der Strecke 1910 eine Drahtseilbahn zur Verbindung mit der Nervenheilanstalt Roderbirken errichtet.

Die Seilbahn transportierte Kohle von einer eigens dafür eingerichteten Umladestelle am Bahnhof für die voluminöse Heizungsanlage der von der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz betriebenen Einrichtung. Die Seilbahn war knapp 2,2 km lang, führte über die Täler des Murbaches und des Weltertalbaches und überwand eine Höhendifferenz von 10 Metern. Transportiert wurden zeitweise auch landwirtschaftliche Produkte von einer Zwischenstation im Ortsteil Stöcken transportier und für den Ausbau der Nervenheianstalt 1912/13 auch Baumaterialien. Die Seilbahn wurde 1927/28 stillgelegt und demontiert.    

Gleisanlagen

Für das wachsende und durchaus anspruchsvolle Gleispaket am Bahnhof war schon 1903 als Anbau an das Empfangsgebäude ein Stellwerk entstanden.

Bahnhof Pattscheid. Gleisplan. Quelle: www.sporenplan.nl 

Ein Gleisbildplan aus der Nachkriegszeit des Eisenbahnbetrieb am Bahnhof Pattscheid vermittelt ein für diesen abgeschiedenen Standort immer noch beeindruckendes Gleisbündel aus vier nebeneinanderliegenden Gleisen.

Der Plan stammt aus der Zeit nach 1958, als die Gesamtstrecke auf eingleisigen Betrieb umgestellt war. Die Strecken nach Opladen und Lennep weiteten sich im Bahnhofsbereich auf dem unteren Gleisniveau zu einem Doppelgleis (1 und 2) mit zwei Bahnsteigen. Über eine Unterführung mit Treppenanlage gelangten die Fahrgäste von oder zu den Gleisen.

Auf der Ebene des Bahnhofsgebäudes gibt es die für den Warenverkehr gedachten und mit Stumpfgleisen verlängerten Gleise 3 und 4. Der Bahnhof war in dieser Zeit nur noch von Osten an die Strecke angeschlossen. Das westliche Stumpfgleis war zugleich das Anschlussgleis für den Kunststoffverarbeitungsbetrieb Illbruck, die 1964-65 hier eine Produktionsstätte betrieb.

Empfangsgebäude und Güterschuppen

Westgiebel. Foto: Pässler Sundermann + Partner Architekten Stadtplaner mbH / Leichlingen

Das langgestreckte, zweigeschossige Hauptgebäude mit flachem Satteldach ist fast vollständig verschiefert. Der westliche Teil des Gebäudekörpers ist hervorgehoben durch einen zur Straßenseite orientierten weiteren Giebel, der direkt an den Giebel der Westfassade anschließt.

Unter den Krüppelwalmen sind beide Westgiebel durch holzverschalte, die Linienführung der Giebel unter den Ortgängen nachzeichnende Holzverschalungen hervorgehoben. Diese streifenförmigen Holzbänder, wie auch Fenster- und Türumrahmungen und ein umlaufendes Fenstergesims im Obergeschoss sind weiß gegenüber dem dunklen Schiefer der Wandflächen abgesetzt.

Farblich und architektonisch ist der eingeschossige Stellwerksanbau mit Flachdach an das Erscheinungsbild des Empfangsgebäudes angepasst. Das Empfangsgebäude ist damit ein gutes Beispiel der regionalspezifischen Architektur des Bergischen Landes.

Güterschuppen. Foto: Pässler Sundermann + Partner Architekten Stadtplaner mbH / Leichlingen

Sowohl in der Gebäudehöhe, wie auch in der Architektur setzt sich der niedrigere Güterschuppen vom Hauptbau ab. Das Holzfachwerk ist mit Ziegelsteinen ausgefacht wobei zur Tal- und Gleisseite ein von schrägen Stützbalken getragener Dachüberstand zwei große Rolltore und eine Rampe vor Witterung schützen soll. Auch auf der Straßenseite findet sich eine allerdings kürzere Rampe für den Ladeverkehr der Fuhrwerke und LKWs.

Umnutzung

1998 erwarb die Firma Illbruck das 12 Jahre zuvor in die Denkmalliste eingetragene Empfangsgebäude mit Güterschuppe und zugehörigem Areal. Die Gebäude wurden für die aus dem 1952 gegründeten Stammunternehmen hervorgegangene Firma ILLI & Compagnie nach Plänen der Architekten Pässer, Sundermann und Partner zu einem Meeting- und Konferenzzentrum umgebaut.

Sorgfältig wurde dabei das äußere Erscheinungsbild gewahrt und teilweise – da, wo es überformt war – auch wiederhergestellt. Das Innere der beiden Gebäude wurde der neuen Nutzung angepasst. 

2013-15 entstand auf der unteren Bahnhofsebene der jener regionale Wander- und Radweg, der die Rheinebene bei Opladen mit dem Bergischen Land verbindet. Die Stützwand unterhalb des Bahnhofsgebäudes wurde 2018 durch den Langenfelder Graffiti-Künstler Andreas Nigge gestaltet.

Dargestellt ist über dem erhaltenen Bahnsteig mit Unterstand u. a. das Gleisbild des Bahnhofs, ein aus einer Tunnelöffnung herausfahrender Schienenbus, eine Bahnhofsuhr und wartende Fahrgäste.

Bahnsteig und Stützmauer unterhalb des Empfangsgebäudes mit Wandbildern des Langenfelder Graffiti-Künstlers Andreas Nigge. Foto: Willy Borgfeldt, 2021

Walter Buschmann

Ortsinformation:

Burscheider Str. 466
51381 Leverkusen

Literatur

  • Flesch, Peter: Die schönsten Tagestouren über Bergische Bahntrassen, Bielefeld 2015
  • Kaiß, Kurt: Der Balkanexpress. Die Eisenbahnverbindung Remscheid-Lennep-Opladen, Leichlingen 2000
  • Krüger, Thomas: Balkan-Trasse + Radroute Wasser-Quintett, Remscheid 2013